Schlagkräftig queer: Ranma und der Zauber des Geschlechtswechsels
Bei Anime-Serien rollt gerade eine Remake-Welle. Beispiel dafür ist der 80er-Jahre-Klassiker „Ranma ½“, der in Neuauflage auf Netflix läuft. Wie macht er sich im gendersensiblen Heute?
„Alles hat seine Zeit“, heißt es oft, wenn Vergänglichkeit ausgedrückt sein soll. Blickt man auf Unterhaltungsmedien, schleicht sich allerdings der Eindruck ein, als habe manches immer wieder seine Zeit. Das muss nicht schlecht sein. Als Millennial habe ich in den zurückliegenden zehn Jahren viele Neuauflagen, Reboots und Remakes von Filmen und Serien gesehen, die ich schon in meiner Kindheit und Jugend liebte. Löblicherweise passen sich viele dieser Neu-Adaptionen dem modernen Zeitgeist an; Feminismus und Queerness spielen jetzt oft eine sichtbare Rolle. Vor allem aber bieten sie die Möglichkeit, die alten Stoffe in frischem Gewand an eine neue Generation von Zuschauer*innen heranzuführen.
Auf einen Blick und Klick: Kaltes Wasser // Projektionsfläche für Queers // Frauenbilder Japans // Neu bleibt alt: das Netflix-Remake // Wo ist das Jetzt?
Auch auf dem japanischen Anime-Markt bekommen aktuell zahlreiche bekannte Serien ein Remake. Nach einer neuen Anime-Serie der in Japan populären Reihe Urusei Yatsura (1981-1986) aus der Feder der preisgekrönten Manga-Zeichnerin Rumiko Takahashi, war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Takahashis beliebte Action-Comedy-Reihe Ranma ½ eine Auffrischung erhält. Das ist nicht zuletzt deswegen von Interesse, weil die Original-Serie in inhaltlicher Hinsicht teils durchaus kritisch gesehen werden kann, gerade aus einer heutigen, für Sexismus sensibilisierten Perspektive. Es stellt sich also die Frage, ob das Remake es besser macht.
Vorsicht vor kaltem Wasser
Ranma ½ erschien erstmals in Japan zwischen 1987 und 1996 als Manga in 38 Bänden. 2021 betrug seine Gesamtauflage 55 Millionen Exemplare, womit er zu den erfolgreichsten Mangas überhaupt gehört, in Japan und weltweit. Ranma ½ erzählt die Geschichte des jungen Martial-Arts-Kämpfers Ranma Saotome, der bei Kontakt mit kaltem Wasser den Körper einer jungen Frau annimmt. Diesen „Fluch“ hat er sich in China eingefangen, durch den Sturz in eine verwunschene Quelle.
Der Zauber wird immer dann rückgängig gemacht, wenn Ranma mit heißem Wasser in Kontakt kommt. Sein Vater Genma ist ebenfalls Kampfkünstler und auch in solch eine Quelle gefallen. Anders als Ranma verwandelt sich Genma bei Kontakt mit kaltem Wasser allerdings nicht in eine Frau, sondern in einen großen Panda. Man sieht (auch im Trailer zum Remake): In Ranma ½ geht es abenteuerlich zu, wenn nicht gar, in einem positiven Sinn: bekloppt.
Dazu gehört auch, als wäre der Fluch für Ranma nicht schon Schlamassel genug, dass sein Vater für ihn eine Verlobung arrangiert hat. Ranma soll eine der drei Töchter von Genmas altem Freund Soun Tendo heiraten, um in Zukunft dessen „Kampfschule für Schlägereien aller Art“ weiterführen zu können. Die beiden älteren Töchter sind sich schnell einig, dass die Wahl auf die jüngste fallen soll, auf Akane, die selbst eine talentierte Kampfsportlerin ist.
Zum Plot der langen Geschichte gehört also nicht nur die Suche nach einem Heilmittel gegen den Fluch, sondern auch die Frage, für welche Heiratskandidatin sich Ranma am Ende entscheidet. Denn immer wieder werden neue Figuren eingeführt, die wahlweise Akane oder Ranma ihre Liebe gestehen und sie wortwörtlich für sich gewinnen möchten. Meist sollen nämlich sehr überzogene und humorvolle Kämpfe entscheiden, wer deren Partner*in sein darf.
Was absurd klingt, funktioniert vor allem durch Rumiko Takahashis einzigartigen Stil, ihr hervorragendes Timing für Slapstick und ihre gekonnt inszenierten Charaktere, die, trotz mitunter grober Eigenschaften, letztendlich liebenswert sind und hohen Wiedererkennungswert haben.
Projektionsfläche für queere Menschen
Auch spielt Ranma ½, selbst wenn Takahashi darauf wohl nicht aus war, mit Gender- und Rollenklischees. Und obwohl Humor und Action im Vordergrund der Geschichte stehen, bietet Ranmas Fähigkeit zum Geschlechterwechsel eine unverhofft große Projektionsfläche für queere Menschen weltweit. Ranmas Fähigkeit, sein Geschlecht mit sofortiger Wirkung ändern zu können, dürfte bei vielen queeren trans Personen eine Sehnsucht wecken und zugleich diejenigen zur Identifikation einladen, die ihre eigene Transition bereits begonnen haben.
Ein wichtiger Punkt der Erzählung ist, dass Ranma sich auch im zarten und kleineren Frauenkörper klar als Mann identifiziert. Im Japanischen wird dies zudem anhand seiner Sprache deutlich, die er nach der Verwandlung weiter verwendet. Das Japanische enthält nicht nur zahlreiche Abstufungen von Höflichkeitsformen, sondern auch geschlechtsspezifische Ausdrucksweisen. Immer wieder stellt Ranma so klar, dass er ein Mann ist – was ihn auch zur Identifikationsfigur für transmaskuline Personen machen kann.
Gleichzeitig sind es interessante kleine Momente, wenn Ranma sich in seinem weiblichen Körper kurzzeitig wohlzufühlen scheint, weil ihm eben dieser Körper in einem Kampf Vorteile verschafft, oder wenn der Körperwechsel hilft, aus einer heiklen Situation zu entkommen, oder schlicht dann, wenn Ranma „weibliche“ Perspektiven von Sexualisierung, Übergriffen oder Schamgefühlen nachvollziehen kann.
Diese Situationen werden im Manga und in der Original-Serie nie eingehender beleuchtet, da die Autorin das Werk nicht als ernste Gesellschaftskritik oder als Story für eine queere Community ausgelegt haben dürfte. Aber gerade wegen solcher Szenen ist Ranma ½ nach wie vor ein lohnendes Thema für Anime-Fans, insbesondere für mittlerweile erwachsense, die sich nun tiefer und kritischer mit verschiedenen Interpretationen des Stoffs auseinandersetzen können. Wegen der wiederkehrend homoerotischen Szenen, bedingt durch den ungewollten Geschlechterwechsel, inspirierte die Reihe auch eine große Fanfiction- und Fanart-Community zu eigenen Interpretationen oder ganz neuen Geschichten, oft mit erotischen Inhalten.
Ein ernsthafter Blick auf Ranma ½ lohnt sich
Außerhalb des erotischen Manga- und Anime-Sektors gab es vor Ranma ½ zwar einige populäre Serien, die mit Androgynität und Geschlechterrollen spielten, diese sind aber vor allem dem Shōjo-Genre zuzuordnen. In dessen Geschichten, die sich an Mädchen und junge Frauen richten, waren und sind genderqueere Charaktere selbstverständlicher vertreten.
Rumiko Takahashis Werk richtet sich in Japan aber vor allem an junge Männer. Sie ist Jahrgang 1957 und ihre Geschichten spiegeln stets den jeweils aktuellen Zeitgeist wider. Ihr Werk ist als Slapstick-Comedy mit übertriebener Action angelegt und der Geschlechtswechselzauber ist in den 80ern wohl schlicht eine alberne Idee gewesen, die für reichlich Unterhaltung sorgt. Die queere Repräsentation, die der Figur Ranma heute zugeschrieben wird, ist vermutlich mehr Zufallsprodukt als Takahashis Absicht.
Es lohnt sich dennoch, einen ernsthaften Blick auch auf die weiblichen Charaktere in Ranma ½ zu werfen. Anhand der drei Tendo-Schwestern werden gleich drei unterschiedliche, aber nicht unübliche Frauenrollen der späten 80er- und 90er-Jahre porträtiert. Kasumi Tendo, die älteste Schwester, übernahm nach dem Tod der Mutter die Rolle der braven und organisierten Hausfrau und fügt sich dieser Rolle vollständig. Mit ihrer ruhigen und fürsorglichen Art bemuttert sie kochend und waschend die Bewohner*innen im Tendo-Haus. Nabiki, die zweitälteste, weiß mit gesellschaftlichen Regeln geschickt zu spielen und nutzt zahlreiche Männer in ihrem Umfeld schamlos aus, um sich finanzielle Vorteile zu verschaffen. Akane, die jüngste, hingegen ist kräftig und interessiert sich nicht vorrangig für Männer und Ehe. Sie kämpft aktiv gegen die noch immer geltenden Erwartungen, die an sie als Frau gestellt werden.
Schon die Original-Serie aus den 80ern ist inhaltlich allerdings alles andere als perfekt. Neben verschiedenen übergriffigen Verhaltensweisen beinahe aller Charaktere und den teils sexistischen Sprüchen von Ranma selbst, lässt sich manches, zumindest aus heutiger Sicht, als homo- und transfeindlich lesen. Dennoch war Ranma ½ in den 90ern auch im Westen eine der ersten Serien, in denen junge Zuschauer*innen erstmals so etwas wie eine genderqueere Figur sehen konnten. Somit spielt die Serie vor allem für Millennials eine wichtige Rolle.
Neu bleibt alt
Die Spannung war groß, als im Oktober 2024 die erste Folge eines Ranma-Remakes auf Netflix ausgestrahlt wurde. Seitdem kam wöchentlich eine neue hinzu; nun liegen alle zwölf Folgen vor. Gut kam bei Kritiker*innen gleich an, dass es aufgrund der modernen Animationstechniken ein deutlich schnelleres Tempo als das Original hat, besonders bei den grandiosen Action-Szenen. Verantwortlich dafür ist das bekannte Animationsstudio MAPPA, das auch Jujutsu Kaisen, Chainsaw Man oder Yuri!! on Ice produzierte. Optisch auffällig ist zudem, dass das Charakterdesign sichtbar weicher als damals ausfällt. Der neue Titelsong, gesungen von der J-Pop-Sängerin Ano, ist eingängig, kommt aber vielleicht nicht ganz an den Charme des Originals heran.
Doch etwas wirklich Neues bietet die Serie nicht. Gleich im Intro ist zu lesen, dass es „irgendwo in Tokyo in den 80ern“ spielt. Das alte Setting bleibt also bestehen, ebenso sind die teils machohaften, sexistischen Ausfälle und dieselben Klischees zu finden. Selbst die Synchronsprecher*innen sind bei vielen Hauptfiguren die gleichen wie im Original. Während dieses damals vor allem in den USA mit, für eine Kinderserie, reichlich Nacktheit schockierte, wurden Nacktszenen im Remake durch andere Blickwinkel oder das Weglassen von Brustwarzen entschärft – sind damit aber teilweise deutlich näher an der Manga-Vorlage als die 80er-Serie.
Wo ist das Jetzt?
Generell geht es bei den „neuen alten Animes“ oft darum, die alten Stoffe viel näher an den gezeichneten Originalvorlagen zu halten und einem neuen Publikum, das sich nicht mehr für die Klassiker interessiert, in frischem Gewand zu präsentieren. Neue Sichtweisen oder Kritik am alten Stoff sucht man vergebens, was oft schade ist. Ranma ½ ist hier keine Ausnahme.
Die Anime-Remake-Welle rollt jedenfalls vorerst weiter: Mit The Rose of Versailles bringt MAPPA Ende Januar ein weiteres Remake eines 50 Jahre alten Anime-Klassikers mit starken Gender-Themen auf den Markt. Ob diese mehr auf heutige Perspektiven zugeschnitten sind als beim Remake von Ranma ½, bleibt abzuwarten. ◆
Ranma ½. Regie: Kōnosuke Uda, Drehbuch: Kimiko Ueno, Produktion: MAPPA, 2024. Zu sehen sind alle 12 Folgen auf Netflix.
Tags: Film und Serie // Manga und Anime
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Zur Autorin
Alex Bachler (sie/ihr) ist Buchhändlerin und Literaturvermittlerin mit einer Vorliebe für ostasiatische Literatur und Mangas.
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