Babies als Ladenhüter
Die Berliner Buchhandlung ocelot wirbt in ihrem Schaufenster für Ladenhüter. Das gefällt nicht allen. Eine Mitarbeiterin erklärt, was es damit auf sich hat, und gewährt Einblick ins Buchgeschäft.
Vor einigen Tagen habe ich für ocelot, unseren Buchladen in Berlin, ein Schaufenster gestaltet, in das ich ausschließlich Bücher gestellt habe, die schon sehr lange in unseren Regalen stehen. Die Ladenhüter. Und als solche bezeichne ich sie auch auf einem Plakat im Fenster. Darauf stehen zudem verschiedene Gründe, warum ein Buch ein Ladenhüter geworden sein kann. Meist haben diese Gründe – zumindest in unserem Geschäft – rein gar nichts mit der literarischen Qualität der Titel zu tun.
Es gab viele Reaktionen auf ein Foto dieses Schaufensters auf Instagram. Die meisten Kommentierenden empfinden es als witzige, clevere und abwechslungsreiche Idee. Es gab Lob, dass sogar unsere Ladenhüter „literarische Geheimtipps“ seien. Aber es war zu erwarten, dass das nicht alle so unterhaltsam finden. Gerade Menschen, die in verschiedener Art und Weise selbst beruflich Bücher herstellen und vertreiben, finden diese Zurschaustellung alles andere als schmeichelhaft.
Kafka und Hustvedt im Altpapier
Auch deswegen möchte ich noch ein paar persönliche Worte zum „Ladenhüter-Fenster“ sagen. Erklärende und wahrscheinlich auch entzaubernde Worte. Zunächst einmal: Es ist nicht das erste Mal, dass ocelot so ein Fenster macht. Vor einigen Jahren haben wir die Idee schon einmal umgesetzt und es damit auch in diverse Branchenblätter geschafft. Mir ist bewusst, dass Bücher für viele in der Online-Buchbubble ein echtes und teilweise sehr sensibles Herzensthema sind. Viele sprechen am Tag der Veröffentlichung vom „Buchgeburtstag“ und von ihren „Buchbabies“. Auch ich habe jährlich viele neue Herzensbücher. Herzensautor*innen. Herzensverlage. Als Leserin, als Buchhändlerin, als Freundin von Buchmenschen. Ich verstehe, dass es ein stechendes Gefühl verursachen kann, ein Buch als Ladenhüter zu wissen und so zu sehen.
Fakt ist aber auch: In meinen 15 Jahren als Buchhändlerin habe ich schon etliche Bücher an Verlage zurückgeschickt. Alle paar Wochen schicken wir unverkaufte Bücher im Rahmen einer zeitlichen Frist an die Auslieferung, das sogenannte Barsortiment zurück. In einem Laden, in dem ich früher gearbeitet habe, habe ich Verlags-Remissionen – so nennt man das Zurücksenden von unverkauften Büchern – oft als „körperlose Remission“ zurückgeschickt. Dabei wird das Buch zerrissen und nur der Umschlag geschickt, um Porto zu sparen. Der Rest landete im Altpapier-Container. Das war so Vorgabe und ist immer noch völlig gängige Praxis. Darunter waren Bücher renommierter Autor*innen wie Franz Kafka, Orhan Pamuk, Alice Munro und Siri Hustvedt.
Wirtschaftlich gesehen
Das war anfangs schwierig. Mit der Zeit entwickeln Buchhändler*innen da aber eine gewisse wirtschaftliche Abgebrühtheit. Ein Buch nach einer bestimmten Zeit auszusortieren und den gewonnenen Platz für einen anderen Titel zu nutzen, ist rein wirtschaftlich gesehen lukrativer, als das Buch immer wieder von Staub zu befreien, von A nach B zu rücken und es dreimal prominent zu zeigen, nur um es dann doch wieder zurück ins Regal zu stellen. Ich verstehe, dass Bücher eine Herzensangelegenheit sind. Für mich als Buchhändlerin bedeutet ihr Verkauf aber genauso, ein geregeltes und sicheres Einkommen zu haben. Zudem erwartet wohl jede Kundschaft eine aktuelle, attraktive und frische Auswahl.
Viel mehr beschäftigt mich, dass ich aktuelle (!) Titel, die ich liebe, oft in MA-Ramschkisten großer Buchhandelsketten für wenig Geld sehe. „MA“ ist die Abkürzung für „modernes Antiquariat“ und bezeichnet Kisten, die häufig vor großen Buchläden am Eingang stehen und „Mängelexemplare“ preiswert anbieten. Nun sind diese Titel selten echte Mängelexemplare oder Restauflagen verlagsvergriffener Bücher. MA-Titel können von Buchhandlungen als Ramschpaket für genau diesen Zweck von verschiedenen Anbietern eingekauft werden. Oft sind darin Taschenbücher der vergangenen zwei Jahre zu finden, die ich tagtäglich wegen der (wunderbaren!) gesetzlichen Buchpreisbindung zum Vollpreis verkaufen muss.
Premium statt Ramsch
Statt alte Bücher in eine Ramschkiste zu stopfen, habe ich mich entschieden, sie vorher nochmals groß zu präsentieren. Der Platz im Schaufenster ist ein wirtschaftlicher Premiumplatz, in machen Läden können Verlage solche Plätze kaufen. Ich wünschte, ständig sämtliche Titel so auffällig zeigen zu können, aber das lassen die Vielzahl der Bücher und auch die Planung einfach nicht zu.
In den vergangenen Tagen wurden einige der Bücher aus dem Ladenhüter-Schaufenster gekauft. Zum vollen Preis, obwohl manche Titel bereits längst vergriffen sind und damit nicht mehr der Preisbindung unterliegen. Es macht mich glücklich, dass diese ein neues Regal bei jemandem gefunden haben. Alle Buchhändler*innen kennen das schöne Gefühl, wenn ein Titel, der ewig stand, plötzlich genau den richtigen Menschen findet. Oft hat man manche Titel auch ganz bewusst nicht zurückgeschickt, weil man felsenfest an sie geglaubt hat. Weil es eben Herzensbücher sind. Man hat sie aktiv empfohlen und dennoch passte es nicht. Es bricht dann ein Stück weit das Herz, wenn unachtsame Kundschaft einen Umschlag beschädigt und das Buch heimlich einfach wieder ins Regal stellt – und es seitdem nicht mehr gewollt wurde, weil Kund*innen nur makellose Bücher als Geschenk wollen.
Platz für neue Herzensbücher
Mitnichten meine ich unser Ladenhüter-Fenster also hämisch oder schadenfreudig. Ich wünsche mir auch etwas mehr Aufmerksamkeit seitens der Kundschaft. Dass umsichtiger bestellt (und abgeholt) wird. Dass kleine Unfälle und beschädigte Bücher nicht verschwiegen werden. Dass der Kaffee vielleicht sogar vor dem Stöbern am Regal ausgetrunken wird. Dass Eltern, bei aller Buchliebe, ihre Allerkleinsten nicht komplett unbeaufsichtigt in Bilderbücher krümeln und Klappen und Sticker rausreißen lassen. Auch das werden dann oft Ladenhüter.
Jedes Buch, das sich aus diesem Schaufenster verkauft, schafft Platz für ein neues, das wir ohne diesen Platz vielleicht gar nicht erst hätten einkaufen können. ◆
Tags: Literatur
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Zur Autorin
Alex Bachler (sie/ihr) ist Buchhändlerin und Literaturvermittlerin. Dieser Text basiert auf einem Instagram-Post von ihr zum Thema.
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