Queer mit Colt
Der queerfeministische Western-Roman „Outlawed“ von Anna North erzählt vom Widerstand gegen die Dominanzgesellschaft und ist dabei erstaunlich aktuell.
Outlawed von Anna North schafft etwas, das Western und andere Abenteuergeschichten wohl nicht allzu häufig schaffen: spannend zu sein, ohne dass die Held*innen auf wirklich hervorstechende Gegenspieler*innen treffen. Es geht hier vielmehr um den Kampf gegen dominante Ideen. Ideen einer patriarchalen, christlich-weißen, hetero- und cisnormativen Dominanzgesellschaft, die die Hauptfigur Ada und die Bande, der Ada sich anschließt, zu Ausgestoßenen macht.
Verkörpert wird diese Gesellschaftsordnung zwar vor allem durch Sheriffs, als Figuren sind diese jedoch kaum ausgearbeitet. Sie bleiben meist bloß als Gefahr im Hintergrund und können kaum als Bösewichte gelten. Die Bösewichtin ist, wenn man so will, die Gesellschaftsordnung. Die Protagonist*innen werden geächtet und verfolgt, weil sie geschlechtlichen oder sexuellen Rollenerwartungen nicht entsprechen.
Hier meint das ganz besonders Frauen oder Menschen mit Uterus, die keine Kinder gebären wollen oder können. Die im Buch beschriebene Gesellschaft des nordamerikanischen Westens im späten 19. Jahrhundert bemisst den Wert von Frauen zu allererst an ihrem Fortpflanzungswillen und ihrer Gebärfähigkeit und lässt all jene fallen, die diesen Erwartungen nicht gerecht werden.
Gegen männliche Autoritäten
Neben von Misogynie geprägter Schwanger- und Mutterschaft geht es in Outlawed auch um Hebammenarbeit und den sich darin widerspiegelnden Konflikt zwischen evidenzbasierter Naturkunde, als Vorläuferin oder kleiner Schwester von Naturwissenschaft, und religiös-abergläubischer Quacksalberei. Letztere tritt vor allem in Person eines Doktors auf, einer männlichen Autoritätsperson also, die, ähnlich wie die Sheriffs, als Manifestation des Patriarchats gelesen werden kann. Die Suche Marginalisierter nach einem safe space, nach gemeinschaftlichem Schutz vor der Dominanzgesellschaft ist ein weiteres zentrales Thema des Romans.
Gerade hier verdient sich Outlawed die Zuschreibung „queerfeministisch“, weil es Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen von cis Frauen mit denen queerer Figuren zusammendenkt. So eine Figur ist besonders „The Kid“, der*die als nicht-binär erzählt wird und Anführer*in der Bande ist, die Ada aufnimmt. Anders als es der Titel der deutschen Übersetzung („Die Gesetzlose“) suggeriert, verhält sich die Gruppe um Ada und The Kid jedoch nur bedingt „gesetzlos“.
Es ist keine Erzählung skrupelloser Räuber*innen, sondern sie ähnelt einer, zumindest während Adas Zeit bei der Bande, Robin-Hood-Geschichte. Leser*innen dürfte es leichtfallen, mit den Bandit*innen zu sympathisieren. Im Sinne des passivischen englischen Originaltitels „Outlawed“ mag ein deutscher Übersetzungstitel wie „Die Geächtete“ vielleicht treffender als „Die Gesetzlose“ sein. So käme besser zum Ausdruck, dass die Protagonist*innen, oft unter Lebensgefahr, von der sie ausschließenden Dominanzgesellschaft in eine Art Exil getrieben wurden. Er würde auch dem Charakter der Figur Ada gerechter.
Das Jetzt im Western
Anna North verhandelt in Outlawed also sehr aktuelle Themen, wie ein Blick auf die jüngsten Entwicklungen in den USA in Sachen Abtreibungsrecht oder Anti-Transgender-Politik deutlich macht. Dass solche Themen hier im Kleid eines Westerns daherkommen, mag für manche Leser*innen gewöhnungsbedürftig sein. Das Genre und die Epoche werden üblicherweise eher nicht mit Queerness und Feminismus in Verbindung gebracht. Bei manchen mag zudem der Eindruck entstehen, dass North im Roman versucht haben könnte, eine Checkliste heute diskutierter Diskriminierungstypen, einschließlich intersektionaler Diskriminierung, abzuarbeiten.
Dem lässt sich entgegenhalten, dass die im Roman erzählten Schicksale und Geschichten in ähnlicher Weise immer schon Teil der jüngeren Menschheitsgeschichte gewesen sind. Queerness ist keine Erfindung der zurückliegenden Jahrzehnte. Menschen verschiedener Epochen sahen sich wegen ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und damit verbundenen Normbrüchen der Ächtung und Verfolgung durch Dominanzgesellschaften ausgesetzt. Gerade in christlich geprägten Ordnungen.
An Outlawed gefällt zudem, dass es ein Roman über Widerstand und Ermächtigung ist, über Selbstbestimmung. Marginalisierte werden hier nicht bloß als Opfer erzählt, sondern als Handelnde, als sich Organisierende und Wehrende, notfalls mit Waffen. Zusammen mit klassischen Western-Zutaten wie Schießübungen, Gefängnisflucht und Landschaftsromantik wird der Roman so zu einem nicht nur spannenden, sondern auch lehrreichen Buch von hoher Aktualität. ◆
Anna North: Outlawed, Bloomsbury, New York, 2021. Die deutsche Übersetzung von Sonia Bonné erschien 2022 unter dem Titel Die Gesetzlose im Eichborn Verlag. Grundlage dieser Besprechung ist das englische Original.
Tags: Literatur
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Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) mag Geschichten, die mit tradierten Geschlechterrollen brechen. Manchmal mag er auch Western wie Outlawed oder die ähnlich angelegte Netflix-Serie Godless.
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