Ums Erbe wichteln
Mit schwarzem Humor blickt das Theaterstück „Jeeps“ in Deutschlands Jobcenter und erzählt von einer radikalen Erbrechtsreform. Die Inszenierung der Landesbühne Esslingen überzeugt – und verstört.
„Jeder ist seines Glückes Schmied“, plärrt der Volksmund gern. Das ist natürlich Quatsch. Lebenserfolg, wie auch immer man ihn für sich definieren mag, hängt entscheidend davon ab, wer mitschmiedet. Für gewöhnlich sind das viele – in Familie, Schule, Beruf und, alles fundierend, in der Politik. Andere Menschen und die Strukturen, in denen wir leben, arbeiten unser individuelles Glück formschön heraus oder verbiegen es bis zum Bruch.
Auf einen Blick und Klick: Eierstocklotterie // Disco in der Gummizelle // Schärfe durch Kürze // Im Schatten von Merz
Die Mitschmiedin, von der vielleicht am meisten abhängt, ist die Geburt. Genauer: Das Hineingeborenwerden in bestimmte geografische, ethnische und materielle Verhältnisse, die den weiteren Lebensweg entscheidend prägen, auch in Deutschland. Man muss nicht Soziologie studiert oder sich mit Klassismus beschäftigt haben, um zu wissen, dass die Geburtslotterie über vieles, wenn nicht alles im Leben entscheidet. Sie entscheidet auch, ob und was man erbt, vor allem materiell: Geld, Häuser, Wohnungen. Manchmal auch Schulden.
Die Axt ans Erben legen
Von einer „Eierstocklotterie“ ist dementsprechend im Theaterstück Jeeps die Rede. Geschrieben hat es die Schauspielerin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud, aufgeführt wird es zurzeit in der Württembergischen Landesbühne Esslingen, unter der Regie von Tobias Rott. Die Gnade der aussichtsreichen Geburt Eierstocklotterie zu nennen, erscheint allerdings nicht ganz treffend. Schließlich ist es, zumal im männerbegünstigenden Patriarchat, gleichsam eine „Hodenlotterie“. Und eigentlich, soviel Zeit muss sein, ist es eine „Befruchtete-Eizellen-Lotterie“: Wessen wie gut gestellte Samen- trifft auf wessen wie gut gestellte Eizelle?
Gemeint ist jedenfalls die durch den Zufall der Geburt bestimmte Aussicht auf eine üppige Erbschaft, die Erbenden bessere Lebens- und Entfaltungschancen sichert. Geboren werden heißt heute ja schließlich auch erben – oder nicht erben. „Nicht-Erben ist eine Art Trauma“, titelt dieser Tage das Handelsblatt, einen Soziologen zitierend.
Was geerbt wird, hat in der ein oder anderen Weise häufig zwar vorher schon das Leben der Erbenden geformt, polstert es aber dann noch einmal ordentlich auf. Plötzlich macht etwa ein Haus oder eine Eigentumswohnung den Traum vom mietfreien Wohnen wahr. Werte in Höhe von rund 400 Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr vererbt – mindestens, denn ganz genau weiß man es nicht.
Jeeps legt hier die Axt an. Das Stück erzählt von einer Erbrechtsreform in naher Zukunft, bei der alle Erbmassen vom Staat konfisziert und über eine Lotterie neu verteilt werden. Lose für die Lotterie, eine Figur nennt es „Erbwichteln“, sind in Jobcentern zu beantragen. Nach einem solchen Los trachtet Silke (gespielt von Feline Zimmermann). Sie gehört zum durch die Reform, wie es im Stück heißt, „frisch prekarisierten Bürgertum“. Silkes verstorbener Vater besaß die ein oder andere Unterkunft, die sie nun gut gebrauchen könnte.
Dafür tut sie sich zunächst mit der einst erfolgreichen, jetzt aber sehr jobcentererfahrenen Autorin Maude (Cathrin Zellmer) zusammen, die Bürgergeld bezieht. Auf der anderen Seite, der Amtsseite, stehen Armin (Oliver Moumouris) und Gabor (Niklas Schmidt-Kosik). Später lösen sich die Paarungen auf und es kracht, im wahrsten Sinn des Wortes. Im Zentrum des Konflikts steht unter anderem die Frage, wie gerecht es ist, zu erben.
Ein bisschen Disco, ein bisschen Dada
Nora Abdel-Maksouds Jeeps ist eine Amts- und Sozialsatire, die neben Klamauk viel schwarzen Humor liefert und dabei auch grotesk-absurde Überzeichnungen nicht scheut. So stürzen etwa von einer im Jobcenter aufgestellten Boulderwand Kinder herab, auf die Jagd gemacht wird, weil Lose des Erbschaftslottos an ihnen befestigt sind.
Die Groteskerie des Stücks, im Grunde zeigt sie sich bereits in der Idee einer Erbschaftslotterie, lässt sich als Kritik am deutschen Amtswesen im Allgemeinen und am Jobcenterwesen im Besonderen lesen. Letzterem ausgesetzt zu sein, sei es als Antragsteller*in, sei es als Sachbearbeiter*in, macht so kirre, legt das Stück nahe, dass schließlich selbst der ehedem besonnene Gabor austickt und eine Pistole zückt. Und Silke zermartert es so sehr, dass sie damit droht, Gabors vorm Jobcenter stehenden Geländewagen in die Luft zu jagen, mithilfe eines Videospiele-Controllers, der Fernzünder für eine Bombe ist. Dass nun ausgerechnet Jobcenter auch fürs Erben zuständig sind, macht alles nur noch schlimmer.
Das minimalistische Bühnenbild (Cornelia Brey) verstärkt die Wirkung der Satire auf famose Weise. Zu sehen ist eine graue, nach unten gerundete Wand mit Lichtleisten und Boden. In die Wand sind eine Tür und ein Fenster eingearbeitet, das einen ausziehbaren Tresen bereithält, der als Amtsschalter dient. Die Assoziation „Gummizelle“ drängt sich auf.
Das körperbetonte, actionreiche Figurenspiel stützt diesen Eindruck. Die vier Schauspieler*innen scheinen Spaß am Stück zu haben. Sie verschwinden in den Öffnungen der Wand, flutschen wieder heraus, rennen, tanzen und kämpfen, teils in Zeitlupe und mit Disco-Licht. Zum Tohuwabohu passt die wilde Musikauswahl, in dem ein wiederkehrendes Element besonders hervorsticht, weil es so treffend ist: ein Klangschnipsel aus Wer wird Millionär? – einer Fernsehshow, die mit Reichtum lockt. Nicht nur inhaltlich, auch optisch und akustisch mag die Esslinger Inszenierung Spuren von Dadaismus enthalten.
Schärfe durch Kürze
Über weite Strecken funktioniert das sehr gut und weiß zu unterhalten, thematisch stimuliert Jeeps ohnehin. Am Ende zieht es sich allerdings ein wenig. Auf einige biografische, in Rückblenden eingewobene Hintergrundinformationen hätte verzichtet werden können; mitunter wirken die Figuren etwas zu stark ausgeleuchtet. Auch manch Humoriges hätte es nicht unbedingt gebraucht.
Der starke Schluss und insbesondere der letzte Satz, der auf das Wissen zu Jobcentern in der breiten Bevölkerung – und damit im Publikum – abzielt, mildern die leichte Überlänge ab. Eine Viertelstunde kürzer hätte das 100 Minuten lange Stück aber ruhig sein können. An inhaltlicher Brisanz verloren hätte es dadurch nicht, ganz im Gegenteil: Eine Straffung würde seine Eindrücklichkeit eher noch schärfen.
Im Schatten von Merz
Ein Verdienst von Jeeps ist, es klang schon an, dass es die oft verstörende, vielen aber unbekannte Welt der Jobcenter transparenter macht. Mitsamt der sprachlichen und rechtlichen Ungeheuerlichkeiten, die gerade dort zuhause sind. Zum Beispiel hinsichtlich des Betrags, der im Bürgergeld-Regelsatz einer alleinstehenden Person für Bildung vorgesehen ist: 2,03 €. Das Stück verhandelt nicht zuletzt Fragen sozialer Kontrolle. „Amtsdeutsch als praktizierte Macht“, nennt es die Figur Armin, ein alter Hase im Amt.
Gerade vor dem Hintergrund jüngster politischer Entwicklungen ist dieser Blick ins Innere von Jobcentern wertvoll. Bald ist der rechtsdrehende Millionär Friedrich Merz Bundeskanzler und das Sondierungspapier zwischen CDU, CSU und SPD hält Herzenskälte parat, die auch die Sozialpolitik betrifft. Es ist nicht davon auszugehen, dass sich die im Stück kritisierten Missstände der Jobcenter-Welt unter Merz bessern. Wahrscheinlich wird es noch schlimmer.
Jeeps schafft dafür Bewusstsein und auch deswegen sind dem Stück viele weitere Aufführungen zu wünschen. Hoffentlich werden sie so gelungen sein wie die Esslinger Inszenierung. ◆
Die Aufführungstermine von Jeeps in der Württembergischen Landesbühne Esslingen finden sich hier.
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Oliver Pöttgen (er/ihm) ist gespannt, wie lange das in Jobcentern zu beantragende Bürgergeld, auch begrifflich ein Hassobjekt der Unionsparteien, noch so heißen wird.
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