Erst Trump, dann Hanau
Said Etris Hashemi, Überlebender des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau, las in Stuttgart aus seinem Buch „Der Tag, an dem ich sterben sollte“. Kurz zuvor wurde ein Faschist US-Präsident.

Hart gegeben habe ich es mir vergangenen Mittwoch: Am Tag, als der Faschist Donald Trump zum nächsten Präsidenten der USA gewählt wurde, zum Präsidenten eines Landes also, das maßgeblichen Einfluss auf das Wohl und Wehe der gesamten Welt hat, besuchte ich abends eine Lesung, auf der es um faschistischen Terror ging – um den Anschlag in Hanau vom 19. Februar 2020. Damals erschoss ein Rechtsterrorist, während Trumps erster Amtszeit, aus rassistischen Motiven neun Menschen. Schwer verletzt überlebt hat Said Etris Hashemi, sein jüngerer Bruder starb. Am Mittwoch las Hashemi in Stuttgart aus seinem Buch Der Tag, an dem ich sterben sollte. Wie der Terror in Hanau mein Leben für immer verändert hat.
Trumps Sieg kam auf der Lesung im Württembergischen Kunstverein nicht zur Sprache, war aber der „elephant in the room“, wie es in solchen Fällen oft heißt. Und vielleicht war es gut, dass er nicht Thema war. Nicht nur, weil man wieder einmal einigermaßen sprachlos vor den Entwicklungen in den USA steht, sondern auch, weil die Verknüpfung beider Themen den rechten Terror von Hanau in seiner emotionalen Wirkung noch schrecklicher macht.
Sie hätte der aktivistischen Energie, wenn nicht gar dem zarten Optimismus, der am Abend spürbar wurde und sich von Hashemi auf das vor allem aus Jugendlichen bestehende Publikum zu übertragen schien, womöglich geschadet. Bei aller gebotenen Vorsicht: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein rechtsterroristischer Anschlag wie in Hanau wiederholt, dürfte durch die erneute Wahl Trumps eher gestiegen als gesunken sein. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD tun ihr Übriges. Es steht zu befürchten, dass sich Rechtsextremisten auch hierzulande durch Trump und all das, wofür er steht, legitimiert fühlen und angestachelt werden – Stichwort „stochastischer Terrorismus“. Noch ein Elefant im Raum.
Schüler*innen hören gebannt zu
Aber genug von Donald Trump und seinen Schergen. Schließlich war nicht Trump in Stuttgart zu Gast, sondern Said Etris Hashemi. Auf eine beeindruckend nahbare Weise. Das fand wohl auch eine Zuhörerin, die sich von Herzen bei Hashemi bedankte. Nach dem Anschlag in Hanau habe sie eine große Einsamkeit verspürt. Hashemis aktivistische Arbeit, die Teil der „Initiative 19. Februar Hanau“ ist, habe ihr Halt gegeben.
Ähnliches mag für das übrige Publikum gelten, das Hashemi gebannt zuhörte. Der 1996 geborene, in Hanau-Kesselstadt aufgewachsene Sohn afghanischer Geflüchteter redet so über das Geschehene und dessen Aufarbeitung, dass ihn die sehr zahlreich erschienenen Schüler*innen der Böblinger Mildred-Scheel-Schule sofort verstanden haben dürften. Insgesamt kamen etwa 130 Menschen in den Kunstverein, gerechnet habe man mit 70, sagt Kai Bliesener der Stuttgarter Zeitung. Bliesener arbeitet für das Theaterhaus, das die Lesung mitveranstaltete.
Kette des Versagens
Moderiert wurde der Abend von Iris Dressler, Direktorin des Kunstvereins. Sie ergänzte sich gut mit Hashemi und trug zur wissenschaftlichen Unterfütterung der Lesung bei. So sprach Dressler zum Beispiel von der doppelten Viktimisierung, die die Opfer des Terror-Anschlags erfahren haben. Damit ist gemeint, dass ihnen neben der extremen physischen Gewalt auch strukturelle Gewalt und struktureller Rassismus widerfuhr, besonders seitens Polizei, Verwaltung und hessischer Landesregierung. Ein Bollwerk der Bürokratie tat und tut sich auf.
Von einer „Kette des Versagens“ sprechen Hashemi und die Initiative 19. Februar Hanau, auch mit Blick auf die Aufklärungsarbeit der Behörden. Wobei diese eher als Aufklärungsverschleppungsarbeit zu bezeichnen sein mag. Iris Dressler betont, wie sehr die Betroffenen darum kämpfen müssen, dass ihnen die Erinnerung nicht weggenommen wird, wie wichtig die Betroffenenperspektive für die Verhandlung der Ereignisse sei. Im Kampf gegen Desinformation haben sie zu ihrer eigenen Lobby werden müssen, sagt Hashemi.
Jedoch seien auch Erfolge zu verbuchen. An politischer Aufklärung mangele es zwar nach wie vor, bei der gesellschaftlichen Aufklärung hingegen habe man viel erreicht. So rede man heute vor allem über die Opfer, nicht über den Täter. Die Forderung „Say their names“ ist in der Tat zu einer erfolgreichen Maxime geworden, nicht nur auf Social Media. Er habe viel Solidarität aus der deutschen Gesellschaft erfahren, sagt Hashemi.
Trump und AfD – was bringt Aufklärungsarbeit?
Auch wenn ihr Thema erdrückend schrecklich war, bot die Lesung im Württembergischen Kunstverein einen außerordentlich wertvollen Einblick in aktivistische Arbeit – und deren Hindernisse. Said Etris Hashemi weiß zu inspirieren. Sein Auftritt war gerade an jenem durch die US-Wahl verdunkelten Mittwoch ein Lichtblick.
Allerdings ist es auch die US-Wahl, die mich leider an einer Sache gleich zweifeln ließ. Die Lesung war von der Überzeugung geprägt, dass gesellschaftliche Aufklärungsarbeit immens wichtig sei und man unbedingt wählen gehen müsse. Grundsätzlich teile ich diese Ansicht. Sehr. Gleichwohl stellt sich die Frage, was das alles bringt, wenn am Ende doch wieder ein Donald Trump Wahlen gewinnt. Oder die AfD. ◆
Tags: Lesungen // Stuttgart // Rechtsruck
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Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) ist froh, trotz der düsteren Ereignisse vom Mittwoch zur Lesung gegangen zu sein. Vielleicht beginnt der Faschismus schon dann zu siegen, wenn man bestimmte Themen vermeidet.
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