Eher rechts: Die Dating-App Bumble und der Rechtsruck
Die Dating-App Bumble ermöglicht es Nutzer*innen, „eher rechts“ als politische Haltung anzugeben. Das ist ein nützlicher Warnhinweis, aber auch Symptom eines gesellschaftlichen Problems.
Ein Schauder springt ins Gesicht, wenn ich sie sehe: die Angabe „eher rechts“ in Profilen auf Bumble, einer der hierzulande meistgenutzten Dating-Apps. Dort ist es seit vergangenem Jahr möglich, bei politischen Einstellungen „eher rechts“ zu wählen. Zuvor war das nun gestrichene „konservativ“ die am weitesten rechts stehende Option, die Bumble deutschsprachigen Nutzer*innen bot.
„Eher links“ hingegen gab es vorher schon und ist auf Bumbles kargem Spektrum der andere Pol. Sofern etwas, das mit „eher“ abgefedert wird, ein Pol sein kann. Die englischsprachige Version ist weniger vorsichtig, dort stehen einfach „left“ und „right“ zur Auswahl. Alle von Bumble derzeit auf Deutsch angebotenen Optionen bei der politischen Haltung (kein Pflichtfeld) sind „unpolitisch“, „politische Mitte“, „liberal“, „eher links“ und „eher rechts“. Hat jemand „eher rechts“ ausgewählt, stellt sich das auf dem Profil, das andere Nutzer*innen sehen können, zum Beispiel so dar:
Bisher taucht es bei den Profilen, die mir angezeigt werden, nur dann und wann auf. Würden mir mehr Profile von Männern angezeigt, sähe ich es womöglich häufiger. Laut einer Studie der Universität Köln von 2023 wählen Männer in Deutschland heute rechter als Frauen. Bei nicht-binären Menschen ist Linkssein (oder zumindest die Ablehnung rechter Positionen) vermutlich noch ausgeprägter als bei Frauen. Schließlich sind, sollte man meinen, geschlechtliche Nicht-Binarität und Rechtssein ideell unvereinbar.
Diese, wissenschaftlich nicht ganz unumstrittene, Links-Rechts-Tendenz der Geschlechter mag sich auch auf Dating-Apps niederschlagen, wenn Nutzer*innen die Option haben, wie bei Bumble, ihre politische Einstellung einfach per Auswahl-Menü bekunden zu können. In einen mehr oder weniger frei gestaltbaren Profiltext von sich aus hineinzuschreiben, dass man zum Beispiel rechts ist, dürfte psychologisch schon eine höhere Hürde sein.
„Eher rechts“ ist einerseits praktisch. Es ist ein Warnhinweis, der bei mir unweigerlich zum Linkswisch führt, zur Ablehnung des angezeigten Profils. Noch viel mehr als die Angabe „unpolitisch“ ist „eher rechts“ ein Marker, der jegliches Interesse an der Person verpuffen lässt. Aussortiert wegen sofortiger Antipathie. Solche Profile kann ich dann nur noch wegen eines grundsätzlichen Interesses am Online-Dating-Geschehen betrachten. Apps wie Bumble können zwischenmenschlich zwar manch Übergriffiges und Strafbares bereithalten, trainieren aber auch die Menschenkenntnis. Mich interessiert dann, was Leute neben „eher rechts“ sonst noch von sich erzählen und ob verallgemeinerbare Merkmalsmuster erkennbar sind.
Bumble normalisiert Rechtssein
Andererseits beunruhigt „eher rechts“. Sehr. Es lässt sich als Symptom einer gesellschaftlichen und medialen Entwicklung lesen, die als „Rechtsruck“ oder „Diskursverschiebung nach rechts“ bezeichnet wird, zum Beispiel von dem Historiker und Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer. Damit ist nicht nur der Stimmenzuwachs für die AfD gemeint. Gemeint ist auch, dass Aussagen und Forderungen, die dem Rechtspopulismus, völkischem Nationalismus und Rechtsextremismus entspringen und noch vor einigen Jahren zu gesellschaftlicher Ächtung geführt hätten (und sei es nur performativ), heute schulterzuckend zur Kenntnis genommen, für gut befunden und medial reproduziert werden. Zunehmend speisen solche Ideen auch die Politik von Parteien, die nicht AfD oder CDU/CSU heißen. Beispiele hierfür sind etwa die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, SPD, im „großen Stil“ abschieben zu wollen, oder die geplante Kriminalisierung der Seenotrettung Geflüchteter.
Zurück zu Bumble. Das gestrichene „konservativ“ dürfte für viele Nutzer*innen keine wirkliche Option gewesen sein, weil es ihnen nicht weit genug ging. Sie sehen sich als rechts und möchten das auch beim Dating offen kommunizieren. Ihnen eine begrifflich stimmige Option zu bieten, mag da nicht zuletzt wirtschaftlich motiviert sein. Der Rechtsruck ist halt auch ein Geschäft, nicht nur für Medien.
Dass Bumble allerdings die Option „konservativ“ ohne Umschweife durch „eher rechts“ ersetzt, anstatt „eher rechts“ bloß als zusätzliche Option anzubieten, ist erstaunlich — und vielsagend. Es lässt sich so lesen, als setze das Unternehmen konservativ und rechts gleich und drücke damit, ob beabsichtigt oder nicht, etwas aus, das für viele Menschen immer schon klar war und etliche mit „konservativ“ etikettierte Parteien gerade in den vergangenen Jahren zunehmend unverschleiert gezeigt haben: „Konservativ“ ist zur Chiffre für „rechts“ geworden.
Bumble macht aber noch mehr. Es setzt rechts auf eine Stufe mit links und trägt so dazu bei, offenes Rechtssein zu enttabuisieren. Während es zuvor nur „eher links“ gab und Nutzer*innen auf Bumble nicht rechter als „konservativ“ sein konnten, ist Rechtssein nun durch die Option „eher rechts“, die gleichwertig neben allen anderen steht, normalisiert. Damit ist Bumble Vorreiterin gegenüber anderen Dating-Apps. Weder auf OkCupid, Tinder, Parship, Grindr, ElitePartner oder Feeld ist es aktuell möglich, bei politischen Einstellungen (sofern diese überhaupt Thema sind) eine Option zu wählen, die das Wort „rechts“ enthält.
Rechter Raumgewinn
Bumble Deutschland wollte Fragen zur Änderung nicht beantworten. Darunter war auch die Frage, inwiefern die Änderung im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Entwicklungen steht, auf die Bumble reagiert. Reagieren müssen auch Konservative: Wählen sie in der App jetzt „politische Mitte“ oder „liberal“, wenn sie „eher rechts“ für sich ablehnen oder zumindest nicht öffentlich zur Schau stellen wollen? Inwiefern ist das alles, selbst wenn es sich auf oft belächelten Dating-Apps abspielt, Ausdruck gesellschaftlicher Wahrnehmungsverschiebungen?
Dass der Rechtsruck ausgerechnet beim braven Bumble sichtbar wird, das sich ansonsten, vor allem im Vergleich zum queerfreundlichen OkCupid, einen unpolitischen Anstrich gibt, ist so bemerkenswert wie besorgniserregend. Es ist ein weiteres Beispiel für rechten Raumgewinn. Offenes Rechtssein gewinnt an Akzeptanz, auch beim Online-Dating. Ist halt jemand rechts, na und? ◆
Tags: Dating
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Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) war vielleicht ein bisschen süchtig nach Dating-Apps und hat über sie liebe Menschen kennengelernt, die er in seinem Leben nicht missen möchte.
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