Stört den Lesefluss: das generische Maskulinum
Eine Notiz zur Wochenzeitung DIE ZEIT und dem Titel ihrer Ostern-Ausgabe.
An einem Zeitungsstand fiel mir dieser Tage die Ostern-Ausgabe der Wochenzeitung DIE ZEIT auf. Dort steht als Titelgeschichte: „Ostern – Kommt da noch was? Wir haben Schriftsteller gefragt, wie sie sich ein Leben nach dem Tod vorstellen.“ Den zweiten Satz musste ich zweimal lesen, um mich zu vergewissern, dass dort wirklich „Schriftsteller“ steht. Ja, steht dort. Schriftsteller. Generisches Maskulinum. In einer Zeit, wo FLINTA* die Welt neu schreiben. Wo Kim de l’Horizon als nicht-binäre Autor*in den Deutschen Buchpreis 2022 bekommen hat. Wo Mareike Fallwickl mit Die Wut, die bleibt einen der wichtigsten deutschsprachigen Romane der vergangenen Jahre geschrieben hat. In so einer Zeit steht auf der Titelseite der größten deutschen Wochenzeitung „Schriftsteller“. Das ist so geschlechterexklusiv und altbacken, dass es schmerzt.
Wenn schon nicht „Schriftsteller*innen“, so hätte es wenigstens „Schriftsteller und Schrifstellerinnen“ sein können. Wenigstens das. Der Platz wäre da gewesen. Wenigstens diese Halblösung, die häufig dann zum Einsatz kommt, wenn man sich geschlechterinklusiv geben will, aber außen vor lässt, oder nicht verstanden hat, dass es auch Geschlechtsidentitäten jenseits von „Mann“ und „Frau“ gibt. Ich nehme an, dass die ZEIT nicht nur schreibende Männer gefragt hat. Reingeguckt habe ich dann nämlich nicht, weil ich schon nach der Titelseite keine Lust mehr hatte. Und weil ich vielleicht auch nicht sehen wollte, welche Gestalten die ZEIT zu Wort kommen lässt. Die Frage, wie sich Schriftsteller*innen ein Leben nach dem Tod vorstellen, möchte ich jedenfalls nicht nur von cis Männern beantwortet haben.
Das Problem ist bei „Schriftsteller“ sehr symptomatisch, weil auch die jahrzehntelange Konzentration auf Geschichten cis-männlicher Autoren dazu beigetragen hat, dass die deutsche Gesellschaft von wirklicher Geschlechtergerechtigkeit noch immer weit entfernt ist. Im Literaturbetrieb ist das zum Beispiel daran zu sehen, dass die Frühjahrsprogramme großer Verlage weiterhin sehr männerlastig sind. Oder daran, dass viele Menschen kein Sachbuch kaufen, das eine Frau geschrieben hat.
Wenn die ZEIT also fragt „Kommt da noch was?“, ist das unfreiwillig komisch – oder vielmehr traurig. Bei der ZEIT sollte nämlich auch noch was kommen: möglichst geschlechterinklusive Sprache, schon auf der Titelseite. ◆
Tags: Geschlechterinklusive Sprache // Literatur
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Oliver Pöttgen (er/ihm) findet, dass das generische Maskulinum den Lesefluss stört. Zudem glaubt er zu beobachten, bei aller gebotenen Vorsicht, dass das Festhalten am generischen Maskulinum Rückschlüsse auf inhaltliche Qualitäten von Texten zulassen könnte.
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