Starkes Sternchen: Warum das Gendersternchen besser als der Genderdoppelpunkt ist
Das Sternchen ist beim Entgendern („Gendern“) dem Doppelpunkt vorzuziehen. Es geht dabei auch um Respekt. Eine Entscheidungshilfe.
Dieser Text zeigt als Handreichung auf, warum es aus meiner Sicht ratsam ist, mit Sternchen statt Doppelpunkt zu entgendern. Warum also „Leser*innen“ gegenüber „Leser:innen“ vorzuziehen ist. Ich habe früher selbst mit Doppelpunkt entgendert, mich dann aber umentschieden. Was mich dazu bewogen hat, erkläre ich hier.
Der Text ist damit auch eine Entscheidungshilfe für Menschen, die sich fragen, mit welchem Sonderzeichen sie schriftsprachlich denn nun „am besten“ geschlechterinklusiv formulieren, das heißt entgendern können. Warum ich von „Entgendern“ statt des geläufigeren „Gendern“ spreche (es meint dasselbe, ist aber treffender), habe ich hier aufgeschrieben. Zu meinen Quellen und meiner Motivation, als cis Mann (also als jemand, der mit dem Zeichen nicht gemeint ist) über dieses Thema zu schreiben, sage ich hier etwas.
Die Frage, welches Zeichen „am besten“ ist, wird teils sehr unterschiedlich beantwortet. Oft hängt die Antwort darauf nicht nur von individuellen Vorlieben, sondern auch vom Verwendungszusammenhang, von genutzten Technologien und von Übereinkünften unter den Anwender*innen, also von kollektiver Selbstbestimmung ab. Manche machen es auch von den jeweiligen Adressat*innen abhängig. Insgesamt habe ich jedoch den Eindruck, dass einige grundsätzliche Argumente für das Sternchen (auch Stern, Asterisk oder „Gendersternchen“ genannt) die hier gegebene Empfehlung rechtfertigen.
Nichtsdestotrotz bleibt es der Text eines cis Mannes ohne Behinderung, der in dieser Gesellschaft gänzlich anders von den hier diskutierten Fragen betroffen ist als Menschen, die ein anderes Geschlecht und/oder Behinderungen haben.
Ich habe früher selbst mit Doppelpunkt entgendert, mich dann aber für das Sternchen entschieden, nachdem ich gute Argumente dafür vor allem von Menschen las, etwa von Freddy Wenner, die durch das Zeichen repräsentiert werden sollen. Das sind zum Beispiel trans, inter und nicht-binäre Menschen, also solche, die nicht in das starre, cisnormative Mann-oder-Frau-System passen. Der sprachlichen Vereinfachung wegen spreche ich hier von „den Gemeinten“ (diejenigen, die das Zeichen meint).
Es geht hier nur um die Formen mit Sternchen und Doppelpunkt, weil diese, zumindest in meiner Wahrnehmung, die mittlerweile meist genutzten und medial sichtbarsten Formen des schriftlichen Entgenderns sein dürften – neben barrierearmeren, aber nicht immer möglichen (und auch weniger symbolstarken) Lösungen wie „Studierende“ oder „Pflegekräfte“. Besonders beim Doppelpunkt ist eine rasante Verbreitung zu beobachten, häufig zum Leidwesen von Gemeinten.
Um den Unterstrich (_) und das selten genutzte, aber besonders ungeeignete i-mit-Trema (ï) geht es in diesem Exkurs.
Die Argumente, die mich weg vom Doppelpunkt und hin zum Sternchen geführt haben, sind:
Akzeptanz bei Gemeinten
Das Sternchen ist dem Doppelpunkt vorzuziehen, weil der Doppelpunkt auf teils vehemente Ablehnung unter denjenigen stößt, die mit einem solchen Zeichen gemeint sind. Das Sternchen ist, wie der Unterstrich, weitaus akzeptierter. Das ist zumindest mein, vor allem über Twitter gewonnener – und damit vielleicht einseitiger –, Eindruck. Ich möchte nicht etwas nutzen, das große Teile derjenigen, für die ich es nutze, ablehnen.
Ich las auch davon, dass manche, die Geschlechtlichkeit weiterhin nur binär in den Kategorien „Mann“ und „Frau“ denken wollen, wie bestimmte christliche Gruppierungen, mittlerweile zum Doppelpunkt greifen. Das würde die dem Doppelpunkt zugeschriebene Funktion als Zeichen des Entgenderns negieren und eine Vereinnahmung durch Gegner*innen geschlechtlicher Vielfalt bedeuten. Dem Sternchen, das ein Konservative und Rechte sehr provozierendes Symbol zu sein scheint, vielleicht auch wegen seiner vermeintlichen „Unmännlichkeit“, dürfte ein solches Schicksal erspart bleiben. In dieser Hinsicht mag das Sternchen zukunftssicherer sein als der Doppelpunkt.
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Selbst- oder Fremdbestimmung
Als Zeichen des Entgenderns wird dem Sternchen für gewöhnlich attestiert, aus der Community der Gemeinten selbst zu stammen, dem Doppelpunkt wird das eher abgesprochen. Wenn das stimmt, kann der Doppelpunkt als Fortschreibung von Fremdbestimmung gelesen werden. Gerade bei einem so von (gewaltvoller) Fremdbestimmung geprägtem Thema wie Geschlechtlichkeit ist das für mich ein sehr gewichtiges Argument gegen den Doppelpunkt und für das Sternchen.
Damit zusammenhängend wird der Doppelpunkt dafür kritisiert, dass er es den Nicht-Gemeinten, also den cis Menschen der Mehrheits- und Dominanzgesellschaft möglichst leicht machen soll, sich durch ein solches Zeichen optisch und ideell nicht allzu sehr gestört zu fühlen. Als sei diese Schmackhaftmachung wichtiger als die Selbstbestimmung der Gemeinten. Auch dieser Aspekt spricht aus meiner Sicht gegen den Doppelpunkt.
Inklusion sehbehinderter Menschen
Anders als häufig behauptet wird, ist der Doppelpunkt für Screenreader nicht grundsätzlich besser als das Sternchen; es ist kompliziert. Darauf weist auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband hin und spricht sich für das Sternchen aus. Das Sternchen sorgt zudem im Wort für einen größeren typografischen Zwischenraum, der für manche Sehbehinderte erkennbarer ist.
Symbolik und Ästhetik
Mit seinen in alle Richtungen weisenden Zacken ist das Sternchen ein geeigneteres Symbol für das, was es ausdrücken soll: geschlechtliche Vielfalt jenseits des Mann-oder-Frau-Systems. Der Doppelpunkt wirkt im Vergleich dazu dröge und ausdruckslos. Das Sternchen gefällt mir heute, früher war es umgekehrt, auch in seiner schriftästhetischen Wirkung besser als der Doppelpunkt. Ich finde es in Wörtern und Texten schöner anzusehen.
Vielleicht greift hier eins ins andere: Zu wissen, warum Option X auch aus anderen als nur ästhetischen Gründen besser ist als die vormals bevorzugte Option Y, wertet X im optischen Empfinden auf. Hinzu kommt, es klang oben schon an, dass das Sternchen typografisch mehr Raum einnimmt als der Doppelpunkt. Es schafft mehr Abstand zwischen dem Buchstaben direkt vor ihm und dem „innen“ danach: Leser*innen > Leser:innen.
Das macht das Sternchen sichtbarer und sorgt symbolisch für mehr Wirkung. Es verleiht dem, für das es steht, mehr Gewicht und erhöht so, das ist ein Ziel geschlechterinklusiver Sprache, die Chancen auf politische Berücksichtigung und Teilhabe.
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Exkurs: Unterstrich, Trema, Binnen-I und Aussprache
Auch dem Unterstrich („Leser_innen“) wird zugeschrieben, aus der Community der Gemeinten zu stammen. Er erfährt dort viel Akzeptanz und wird häufig als einzige Alternative zum Sternchen gesehen, wenn mit Zeichen entgendert werden soll (und nicht mit Formen wie „Studierende“). Ein weiterer Vorteil ist, dass er, ähnlich wie das Sternchen, einen symbolischen Raum in Wörter einsetzt und weniger leicht übersehen werden kann als der Doppelpunkt. Der Unterstrich erscheint mir jedoch, zumindest heute, medial weniger sichtbar als das Sternchen zu sein; ich stoße im Vergleich seltener auf ihn. Und wäre ich nicht cis, gefiele er mir als Repräsentationssymbol für mein Geschlecht wohl weniger als das Sternchen. Das Sternchen spricht mich optisch und in seiner oben beschriebenen Deutbarkeit als Symbol für Vielfalt mehr an.
Vom i-mit-Trema („Leserïnnen“), auf das ich gelegentlich treffe, ist ganz und gar abzuraten. Es kann, ähnlich wie beim Doppelpunkt, als Ausdruck von Fremdbestimmung gelesen werden, weil es nicht von den Gemeinten selbst stammt. Zudem ist das Tremazeichen auch für nicht-sehbehinderte Menschen sehr leicht zu übersehen. Der symbolische Wert des typografischen Zwischenraums fehlt völlig.
Das Binnen-I („LeserInnen“) sehe ich häufiger. Für mich ist es keine Option, weil ein Zeichen fehlt, das die dominante Vorstellung geschlechtlicher Mann/Frau-Dualität brechen und Vielfalt symbolisieren soll. Das mag damit zusammenhängen, dass dieser Ansatz aus einer Zeit (Anfang der 1980er-Jahre) stammt, als die Realität der biologischen und sozial geschaffenen Vielgestaltigkeit von Geschlechtern weniger erforscht und gesellschaftlich noch nicht so im Bewusstsein war wie heute. Es ging „nur“ darum, cis Frauen sprachlich sichtbar zu machen. Heute wirkt dieser Ansatz nicht mehr zeitgemäß.
Meine obigen Eindrücke und Präferenzen lassen sich formelhaft zugespitzt so zusammenfassen („>“ steht für „besser als“):
* > _ > : / ï / Binnen-I (mit Beispiel: Leser*innen > Leser_innen > Leser:innen / Leserïnnen / LeserInnen)
Ausgesprochen werden die Zeichen übrigens alle mit dem Stimmritzenverschlusslaut (Glottisschlag; „Gender-Pause“), den es auch im Wort „Spiegelei“ gibt: Spiegel*ei. Eine Stimmtrainerin erläutert es hier am Beispiel „Kolleg*innen“.
Zur Sprecherposition
Als cis Mann stütze ich mich auf Stimmen wie Freddy Wenner oder Ash, von deren Bildungsarbeit ich über Twitter profitiert habe. Wenn es um das Vertrautmachen mit Lebenswelten von marginalisierten und diskriminierten Gruppen geht, ist insbesondere Twitter ein sehr wichtiges Medium.
Ich schreibe zum Thema, weil mir geschlechterinklusive Sprache als wichtiger Bestandteil und Mittel hin zu einer gerechteren Gesellschaft am Herzen liegt. In diesem Zusammenhang habe ich mich hier auf vliestext auch in anderen Beiträgen mit dem Thema beschäftigt, die durch diesen Text ergänzt werden:
Gendernde Affen Warum das generische Maskulinum in progressiven Sachbüchern fehl am Platz ist. Gedanken zu Erzählende Affen von Samira El Ouassil und Friedemann Karig.
Bürger*innengeld Die SPD sucht ein Morgen, findet mit dem „Bürgergeld” aber viel vom Gestern. Nur geschlechterinklusive Sprache ist progressiv.
Gendern gleich Entgendern Wer gendert, entgendert, weil immer schon gegendert wurde. Klar, oder? Warum es besser ist, auf den Begriff „Gendern“ zu verzichten, wenn es um geschlechterinklusive Sprache geht.
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