Wer darf Dinge besser wissen? Über das ARD-Quiz „Gefragt – Gejagt“ und seinen Männerüberschuss
Am Wissensquiz „Gefragt – Gejagt“ lässt sich etwas über die Stellung von Frauen als Expertinnen in der Öffentlichkeit lernen.
Im Krankenhaus zu liegen heißt oft auch, linearem Fernsehen ausgesetzt zu sein. Mitunter laufen die TV-Geräte der Krankenzimmer ständig, je nach Vorliebe und Kompromissfähigkeit der Zimmergenoss*innen. Während meines dreiwöchigen Krankenhausaufenthalts im Januar bekam ich, der sonst meist Streaming-Dienste wie Netflix und öffentlich-rechtliche Mediatheken nutzt, viel lineares Fernsehen deutscher Prägung ab. Von exzessivem ARD-ZDF-Wintersport, über werbungszerstückelte SAT.1-Freitagabend-Komödien bis zum schlimmen Sender DMAX, der sich zum Ziel gesetzt haben scheint, ein Reservat für völlig zurecht wegsterbende Männlichkeitsbilder zu sein.
Eines Nachmittags zappte ein Bettnachbar in die ARD-Quizsendung Gefragt – Gejagt. Ich kannte sie von früher, hatte sie aber lange nicht gesehen. Sie weckte sofort mein Interesse. Eingeblendet war nämlich eine Übersicht der „Jäger“, also der Menschen, die sich dort den Kandidat*innen im Wissenswettstreit, durchaus von oben herab, entgegenstellen und verhindern sollen, dass diese zu viel Geld mit nach Hause nehmen. Auf der Übersicht zu sehen waren nur Männer. Einer davon, Sebastian Klussmann, wurde mit seinem Kampfnamen „Der Besserwisser“ vorgestellt. Kampfnamen anderer Jäger in der Sendung waren früher oder sind immer noch „Der Quizvulkan“, „Der Quizgott“ und „Der Gigant“.
Das kann doch nicht sein
Erst traute ich meinen Augen nicht. Sollte die ARD heute wirklich ein Wissensquiz ausstrahlen, bei dem nur Männer als schlau, gebildet und wissend inszeniert werden, als zu besiegende Superhirne? Das kann doch nicht sein, nach all den Debatten über Geschlechtergerechtigkeit in den vergangenen Jahren. Und es ist auch nicht so. Nicht mehr. Die Übersicht, die ich sah, zeigte nicht alle Jäger*innen, sondern nur die drei, die für die Folge vorgesehen waren. Einer, der anfängt, und zwei als Reserve, falls ein Jäger durch die Kandidat*innen ausgeschaltet wird. In der Folge waren das zufällig nur Männer. Bei Gefragt – Gejagt gibt es heute auch Jägerinnen. Wenngleich nur ganze zwei, bei aktuell insgesamt sieben Jäger*innen. Das ist mager und ausbauwürdig.
Ähnlich mager wird es beim Blick auf die Frage, seit wann die zwei Frauen, Adriane Rickel („Die Generalistin“) und Annegret Schenkel („Die Schlagfertige“), im Team einer Sendung sind, die schon seit 2012 läuft und es auf über 700 Folgen gebracht hat: erst seit 2021 und 2022. Das Gastspiel von Grażyna Werner („Die Gouvernante“), mit laut Wikipedia fünf Auftritten von Januar bis April 2017, fällt kaum ins Gewicht. Gefragt – Gejagt ließ also knapp zehn Jahre lang Frauen als fest institutionalisierte Gegenspielerinnen vermissen. Gerade für ein öffentlich-rechtliches Wissensquiz, von dem Zuschauer*innen eine gewisse Reflektiertheit erwarten dürfen, ist das ein Trauerspiel.
Jedoch eines, das nur bedingt zu überraschen vermag, wenn man sich anschaut, wie schwer es die Öffentlichkeit Frauen, von nicht-binären Menschen ganz zu schweigen, strukturell immer noch macht, als Expertinnen wahrgenommen, akzeptiert und wertgeschätzt zu werden, letzteres gerade auch in finanzieller Hinsicht. So drückt sich der Gender Pay Gap zum Beispiel darin aus, dass Speakerinnen auf Konferenzen oder Workshops in der Regel schlechter bezahlt werden als Männer. Dass es Sachbücher von Frauen auf dem (wohl nicht nur deutschen) Buchmarkt weiterhin schwerer haben als die von Männern, nicht zuletzt, weil Frauen intellektuell weniger zugetraut wird, solche zu schreiben, ist ein weiteres Beispiel misogyner Strukturen im Bereich der Wissensarbeit und -vermittlung.
Gigantinnen, überall
Die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert zeigt in ihrem 2021 erschienenen Buch FRAUEN LITERATUR: Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt, dass Bücher eine bessere Bewertung erfahren, wenn zuvor nicht bekannt ist, dass sie von Frauen stammen. Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek schrieb 2020 von einer allgemeinen „Verachtung des weiblichen Werks“. Über Branchen und Sparten hinweg wird Können und Fachwissen von Frauen abgewertet und unsichtbar gemacht, umso mehr, wenn es in traditionell männlich dominierten Kontexten gezeigt wird. Das betrifft Handwerksmeisterinnen wie Nobelpreisträgerinnen, Praktikantinnen wie Professorinnen.
Mein Ärger im Krankenhaus über Gefragt – Gejagt war allerdings nur in Teilen berechtigt. Dass das Wissensquiz fast zehn Jahre, zumindest vor der Kamera, nahezu expertinnenlos blieb, ist in der Tat ein großes Ärgernis. Aber immerhin hat die Sendung, himmelschreiend spät, 2021 die Kurve gekriegt und macht seitdem regelmäßig Expertise von Frauen in einem Bereich sichtbar, der vor allem mit Männern assoziiert wird: Bildung und Weltwissen. 33 Auftritte hatte Adriane Rickel, „die Generalistin“, seitdem. Sebastian Klussmann, „der Besserwisser“, kommt auf 186, ist aber acht Jahre länger dabei.
Zu hoffen bleibt, dass der Anteil der Jägerinnen weiter steigt und sie irgendwann so viele Einsätze wie die Jäger haben. Wünschenswert ist in meinen Augen auch, wenn man an dieser Praxis festhalten möchte, dass sie solche Kampfnamen bekommen oder sich aussuchen dürfen, bei denen nicht der Eindruck entsteht, sie stünden hierarchisch unter den Jägern. Warum sollte es etwa nicht auch bei Gefragt – Gejagt eine „Gigantin“ geben? Es gibt ja auch im Alltag viele. ◆
Tags: Film und Serie
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Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) hätte mit linearem deutschen Fernsehen gern weniger Probleme, sieht dafür nach der Erfahrung im Krankenhaus aber wenig Hoffnung.
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