Merlot und Bolzenschussgerät: Paul Bokowski in Stuttgart
Der Roman- und Lesebühnenautor Paul Bokowski war mit seinem Humor in Stuttgart zu Gast. Von einem Abend, der nachhallt.
Die Schriftstellerin Mareike Fallwickl, bekannt durch ihren fulminant feministischen Roman Die Wut, die bleibt, hat auf Instagram eine Reihe gestartet, in der sie Männer-Bücher liest und kommentiert. Dieser Tage war Schlesenburg von Paul Bokowski dran. Interessant ist das hier vor allem, weil Fallwickl voranstellte, dass sie Bokowski mag und über Kurzgeschichten von ihm schrieb: „Sehr intelligent ist sein Witz, herrlich böse seine Darstellungsweise und wunderbar raffiniert sind die vielen kleinen fiesen Pointen.“
Das bestätigte einen Verdacht, den ich 2022 bei der Besprechung von Schlesenburg hatte. Bokowskis Debütroman ist, anders als seine zuvor erschienenen Bücher, zwar nicht in der Sparte „Humor“ verortbar, Bokowskis Witz blitzt aber auch in Schlesenburg immer wieder angenehm durch. Zudem gefallen mir die Mischung aus Zart- und Derbheit und sein Sinn für die kleinen Situationen, für Dialoge und Subtexte. Gründe genug also, Paul Bokowski auch einmal live sehen zu wollen. Die Möglichkeit dazu ergab sich vergangenen Freitagabend: Mit einem Best-of-Programm seiner Humor-Texte war er im Stuttgarter Westen zu Gast, bei der Kleinkunstbühne Rosenau.
Hauptsache nichts mit Menschen
„Hauptsache nichts mit Menschen“ ist der Titel eines seiner Bücher und stand auf dem Tourplakat am Eingang. Es kamen dann aber viele Menschen, die Rosenau war voll. Eigentlich sollte die Lesung am benachbarten Feuersee stattfinden, was eine schlechte Wetterprognose leider verhinderte. Aber auch ohne Open-Air war die Stimmung gut. Bokowskis witzig-skurrile Kurzgeschichten und Notizen verfingen beim Publikum sofort. Es begann mit großen Lachern und endete mit großen Lachern. Die etwa 70-minütige Lesung war im besten Sinne kurzweilig. Bokowski, seit 20 Jahren in der Berliner Lesebühnenszene aktiv, schien Spaß bei der Arbeit zu haben und auch seine älteren Texte noch zu genießen. Das übertrug sich auf die Zuhörer*innen.
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Themen des Abends waren etwa eine wilde Bahnfahrt bei Magdeburg, ein datengeschützter Anruf beim Amt, insolvenztrunkene Flugkapitäne und die mannigfaltigen Tücken des Digitalen. Bokowskis Beobachtungs- und Beschreibungsgabe, sein Spiel mit Fakt und Fiktion, machen es leicht, in seine Erzählungen einzutauchen. So wartet man mit ihm am nächtlichen Bahnhof Magdeburg-Neustadt und fürchtet sich vor der etwa 50-jährigen Mitreisenden, die wirkt, als hätte sie „schon als Grundschulkind in jedem Poesiealbum bei Hobbys ‚Bolzenschussgerät‘ angegeben.“ Diese bilderreiche Mitnahme des Publikums gelang auch in Schlesenburg gut. Sie gelingt noch besser, wenn man Bokowski vorlesen hört und sieht.
Sex und Berlin
Ich war mit meiner Freundin auf der Lesung und wir haben uns gefragt, ob es etwas gab, das uns nicht gefallen hat. Dieser Text will ja auch Kritik sein. In den ausgewählten Geschichten ging es recht häufig um Bokowskis Eltern, um das Verhältnis zwischen Eltern und erwachsenen Kindern. Das kam auch sehr gut an. Wohl nicht zuletzt deswegen, weil im Publikum viele Menschen gewesen sein dürften, die selbst Eltern erwachsener Kinder sind oder ihren eigenen Eltern bei digitalen Herausforderungen beistehen müssen. Von letzterem kann auch ich Lieder singen.
Die Text-Auswahl mag also der Demografie des Publikums geschuldet gewesen sein. Und der Möglichkeit, dass das Leben seiner Eltern für Paul Bokowski ein in künstlerischer Hinsicht wichtiger Stoff ist, dem er auf der Bühne genug Platz einräumen möchte. Uns haben die Eltern-Geschichten nicht missfallen, ganz im Gegenteil. Wir hätten uns allerdings, wie im Rückblick klar wurde, noch mehr amüsiert, wenn es in den übrigen Texten ein, zwei Prisen sexueller und berlinerischer zugegangen wäre. Bokowskis Werk lässt beides zu, scheint mir. Meine Freundin, die einige Jahre in Berlin gelebt hat, hat sich gleich nach der Lesung am Bücherstand Hauptsache nichts mit Menschen gekauft und am Wochenende einige Geschichten daraus gelesen. Besonders gut gefallen ihr bisher Texte, in denen es um Berlin geht. Das deckt sich mit meinem Eindruck, dass auch Nicht- oder Ex-Berliner*innen Paul Bokowski als fantasievollen Chronisten des Berliner Alltags samt seiner Skurrilitäten zu schätzen wissen.
Vielleicht will er überregional so eher nicht wahrgenommen werden. Vielleicht könnten seine Berlin-Geschichten aber auch anderswo in Deutschland mehr Anklang finden, als er eventuell vermutet. In der Stuttgarter Rosenau jedenfalls hätten Sex und Berlin eine facettenreiche Lesung noch um die ein oder andere Facette erweitern können. Sehenswert war Paul Bokowskis Auftritt aber so oder so. Und einprägsam. Das Bolzenschussgerät hallt nach. ◆
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) mag vor allem jene Satiriker*innen, bei denen er einerseits ein bisschen Angst hat, unvorteilhaft in ihren Geschichten zu landen, sich darüber andererseits aber wohl auch freuen würde, weil die Geschichten gut werden.
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