Schön hässlich
Mit ihrem Buch „Hässlichkeit“ war Moshtari Hilal im Literaturhaus Stuttgart zu Gast. Das Gespräch wurde dem Buch gerecht, hätte an einer Stelle aber mehr Widerspruch vertragen können.
„Wessen Blick übernehmen wir, wohin wir uns auch wenden, in wessen Tradition steht unser Sehen?“ Diese Frage stammt aus dem Sachbuch Hässlichkeit von Moshtari Hilal. Vergangene Woche war Hilal im Literaturhaus Stuttgart zu Gast, um mit der Literaturkritikerin und Lektorin Miryam Schellbach über Hässlichkeit zu reden. So lesenswert das Buch ist, so hörenswert war das Gespräch.
Schellbach ließ Hilal viel Raum, um über die, teils autobiographisch geprägten, Themen von Hässlichkeit zu sprechen und daraus Lyrik-Passagen vorzulesen. Zur Illustration fanden sich Bilder und Collagen des stilistisch vielgestaltigen Buches, Hilal arbeitet auch als Künstlerin, per Beamer an die Wand hinter der Bühne geworfen. Darunter war ein Foto einer Operation zur kosmetischen Korrektur einer Nase. Für Hilal zeigt das Bild, wie sehr Ideen von Hässlichkeit und Schönheit mit Gewalt verbunden sind.
Hässlichkeit wird sozial geschaffen
„Gewalt“ war, in all seiner Vielförmigkeit, eines der Stichwörter des Abends. Analog zum Buch ging es weniger darum, was „hässlich“ ist, sondern vielmehr darum, welche politische Funktion Hässlichkeitszuschreibungen historisch hatten und immer noch haben, vor allem im Zusammenhang mit der Herrschaft weißer Menschen über Nicht-Weiße. Woher kommen Vorstellungen von Hässlichkeit, was soll mit ihnen bezweckt werden? Wem nützt es, andere Menschen als „hässlich“ zu markieren, sie anhand von Körpermerkmalen wie krummen Nasen, Behinderungen oder Hautfarben zu kategorisieren? Es ging um Hässlichkeit als etwas sozial Geschaffenes, als Produkt gesellschaftlicher Verhandlung — und nicht als etwas objektiv Bestimmbares. Es gibt keine Hässlichkeit, die „biologisch wahr und ästhetisch zeitlos“ ist, schreibt Hilal im Buch.
Schönheitsnormen und die Zuschreibung von Hässlichkeit werden hier insbesondere als Herrschafts- und Machtmittel verstanden, mit dem sich als „hässlich“ ettiketierte Menschen kontrollieren, ausgrenzen, degradieren und entmenschlichen lassen, oft mit dem Ziel, sie auszubeuten. Oder zu vernichten. Anschauungsmaterial für beides liefern Kolonialismus und Nationalsozialismus. Wer glaubt, das sei längst überwunden, irrt. Historisch gesetzte Schönheitsideale und obskur anmutende Vermessungspraktiken, die ihren Ursprung teils im Rassismus haben, prägen auch die Gegenwart. Ein Beispiel dafür sind Social-Media-Trends wie die „Nasenprofil-Challenge“ auf TikTok.
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Obige Zeilen werfen lediglich Schlaglichter auf einige wesentliche Aspekte. Das Gespräch im Literaturhaus Stuttgart war, ähnlich wie das Buch, sehr facettenreich. Nicht zuletzt deswegen, weil die in Kabul geborene Moshtari Hilal selbst Erfahrungen mit Hässlichkeitszuschreibungen gemacht hat, besonders hinsichtlich ihrer Nase, auch im Familienkreis. „Kartographie meiner Hässlichkeit“ ist ein Kapitel überschriftet. Das Buch verbindet eigenes Erleben und intellektuelle Analyse auf produktive Weise. Das Gespräch mit Miryam Schellbach hätte allerdings noch um eine Facette reicher sein können, wenn Schellbach aus gesprächstaktischen Gründen hier und da eine Position des Widerspruchs eingenommen hätte.
Inklusive Schönheit
Zumindest in einem Aspekt nämlich scheinen mir Hilals Thesen, die sich auf Autor*innen wie Frantz Fanon oder Gretchen Henderson stützen, etwas zu rigoros zu sein und Entwicklungen jüngerer Zeit zu wenig Bedeutung beizumessen. Dazu zählt, dass Schönheit zunehmend inklusiver verstanden wird. Schönheitsregime sind durchlässiger für Abweichungen von der Norm geworden, zum Beispiel was Mehrgewichtigkeit angeht. Körpermerkmale, die früher noch ausgegrenzt wurden, finden heute selbstverständlicher statt, etwa in Serien oder der Werbung. Sicher, gerade bei letzterem mag das vor allem kapitalistisch motiviert und nicht Ausdruck eines gesellschaftlichen Wertewandels sein, ein Fortschritt ist es dennoch.
Hilal indes sieht hier noch keine wirkliche Diversität. Ein inklusiver Schönheitsbegriff funktioniere nicht, sagt sie zum Ende des Gesprächs hin, weil es noch immer darum gehe, möglichst nah am Ideal zu sein. Schönheit brauche Mechanismen des Kontrasts, der Hierarchie und der Ausgrenzung. ◆
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) öden idealisierte Körperbilder an, gerade auch in Unterhaltungsmedien. In seinem liebsten Videospiel-Genre, dem der Fighting Games, hat er sich auf die Suche nach weiblich markierten Figuren begeben, die von Körpernormen abweichen.
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