Choose your fighter: Frauenkörper in Fighting Games
Das Videospiel-Genre der Fighting Games blüht gerade wieder auf. Über eine Spielewelt, die voller Körpererzählungen ist, Frauenkörper aber immer noch nicht divers erzählt.
Als guilty pleasure werden häufig Dinge bezeichnet, die gleichzeitig Spaß und ein schlechtes Gewissen machen. Für manche sind das Fast Food oder Trash-TV, für mich gehören Fighting Games dazu. Fighting Games sind ein Videospiel-Genre, zu dessen hierzulande bekanntesten Beiträgen die seit etwa 30 Jahren laufenden Reihen Street Fighter und Mortal Kombat zählen dürften. Ebenfalls sehr einflußreich waren und sind Tekken, King of Fighters, Guilty Gear, Smash Bros. und Samurai Shodown.
Neben der wörtlichen Übersetzung „Kampfspiel“ sind auch die Bezeichnungen „Beat’em Up“ und „Prügelspiel“ geläufig, die dem Genre allerdings nur bedingt gerecht werden: Fighting Games sind, gerade heute bei all der Prozessor- und Grafikleistung, in ihren spielmechanischen und spielstrategischen Möglichkeiten oft sehr komplex. Ja, stumpfes Prügeln geht, smartes Schach aber auch.
Das traditionsreiche, für gewöhnlich jedoch wenig beachtete Genre blüht zur Zeit wieder auf, wie die Veröffentlichung von King of Fighters 15 zeigt. Das nehme ich zum Anlass, meiner Vorliebe für diese Spielewelt einmal nachzuspüren und zu fragen, was die Liebe zu ihr schwierig macht, was an Fighting Games heute für mich pleasure und was guilty ist. Entstanden ist ein Text, der sich vor allem mit dem guilty beschäftigt, weil darin viel Verallgemeinerbares steckt, das an Problemdiskurse anderer Kulturprodukte, wie Filme oder Serien, anschließt.
Es geht um einseitige Körpererzählungen, fehlende Identifikationsangebote, verpasste Chancen und Sexismus. Es sind Worte eines cismännlichen Spielers, dem die übliche, auf Konsument*innen wie ihn abzielende Inszenierung weiblich markierter Körper, und die damit verbundene Unsichtbarmachung bestimmter Körperformen, den Spielspaß trüben. Es braucht weniger normschöne Körper und mehr Körper- und Altersdiversität bei Frauenfiguren in Unterhaltungsmedien.
Videospiele und hier besonders Fighting Games, die menschliche Körper so intensiv wie kaum ein anderes Genre erzählen, haben spielbare weibliche Charaktere nötig, die stärker von Schönheitsnormen abweichen und als „alt“ oder „fett“ gelesen werden können. Dadurch käme das Genre nicht nur im feministischen Jetzt an, sondern würde auch ein Wesensmerkmal stärken, das andere Genres in dieser Direktheit und Fülle nicht zu bieten haben: mit Frauenfiguren Männerfiguren besiegen. [1]
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Im Netz des Wenn-Dann
Pleasure sind Fighting Games für mich aus ähnlichen Gründen, aus denen ich auch Tischtennis und Schach mag. Alle drei Spielformen sind durch ein ständiges Hin und Her zwischen mindestens zwei Teilnehmer*innen geprägt und bieten diesen viele Handlungsmöglichkeiten. Es ist der Reiz von Komplexität und Rasanz auf engem Raum: an der Platte, auf dem Brett und auf der stage, einer Art Schauplatz. Hier wie da spannt sich beim Spielen ein engmaschiges, sich stetig änderndes Netz von Wenn-Dann-Beziehungen auf.
In Fighting Games weben Spieler*innen dieses Netz mittels Spielfiguren, die über individuelle Fähigkeiten verfügen und zuvor auszuwählen sind. Bei Tekken 7 etwa hat man heute die Wahl zwischen 51 Charakteren. Während des Kampfes sind Entscheidungen manchmal in Sekundenbruchteilen zu treffen. Teils bestimmen wenige frames (Einzelbilder) darüber, ob ein Angriff, eine Flucht oder ein Konter glücken: Wie auf einen Feuerball reagieren? Drüberspringen, blocken oder – falls meine Figur das kann – reflektieren? Was mache ich danach, was macht der*die Gegner*in oder der Computer? Wie lassen sich Attacken zu einer combo verknüpfen?
An dieser grundsätzlichen Spielidee hat sich seit Street Fighter II, das 1991 in Spielhallen, später auch für Konsolen wie das Super Nintendo erschien und einen Hype auslöste, nicht allzu viel geändert. Geändert haben sich vor allem die Ausdifferenzierung des Genres, die Spieltiefe und die Spielgeschwindigkeit. Zu special moves kamen super special moves und andere Mechaniken hinzu, die Handlungsmöglichkeiten im Netz des Wenn-Dann immer reichhaltiger und anspruchsvoller gemacht haben.
Hinsichtlich ihrer ablaufbaren Spielwelt mögen Fighting Games das Gegenteil von Open-World-Spielen wie The Witcher 3 sein, hinsichtlich ihrer spieltaktischen Möglichkeiten aber sind sie, trotz der Enge der stages, heute auch sehr open. Ich spiele seit etwa 30 Jahren Videospiele und seitdem hat mir kein anderes Genre in der Summe mehr Spielspaß bereiten und länger an sich binden können, als Fighting Games es geschafft haben.
Sieg in Unterwäsche
Dass im Genre gerade viel passiert, freut mich als Fan einerseits. Neuere Titel großer Studios wie Guilty Gear Strive oder das bereits genannte King of Fighters 15 hauchen der Spielewelt neues Leben ein und auch kleinere Titel wie Melty Blood oder Skullgirls sichern durch Fortsetzungen und zusätzlich herunterladbare Kämpfer*innen die Zukunft des Genres, kommende Spiele wie DNF Duel ebenso.
Wenn Beiträge wie MultiVersus, Nickelodeon All-Star Brawl oder Them's Fightin' Herds heute verstärkt auch Gruppen von Spieler*innen ansprechen, die nicht zur männlich dominierten Klientel von Fighting Games gehören, ist das ebenfalls ein gutes Zeichen und bereichert das Genre um neue Bilderwelten.
Andererseits, und damit zu meinem guilty in guilty pleasure, sind gerade große Titel wie King of Fighters 15 sehr beispielhaft für ein Problem, das Videospiele im Allgemeinen und Fighting Games im Besonderen immer schon hatten und besonders letztere nur langsam – wenn überhaupt – loszuwerden scheinen: Sexismus und (hyper-)sexualisierende, stereotype Darstellungen weiblich lesbarer Charaktere. Sehr prominent hat die Medienkritikerin Anita Sarkeesian in den letzten Jahren auf dieses Problem hingewiesen, vor allem in ihrer Videoreihe über Frauenbilder in Computerspielen.
Auch aus Fighting Games zieht Sarkeesian Negativbeispiele heran, wie die Figuren Ivy und Cammy. Beide stehen für Figurentypen, die viel nackte Haut zeigen und deren Standard-Kostüm Unterwäsche, Dessous oder Bademode ähnelt. Bei Cammy ist das seit Super Street Fighter II (1993) vor allem dieser Look:
Aus dem Kleiderschrank für weibliche Charaktere kramen Entwickler*innen auch gern Hot-Pants (etwa bei Poison oder I-NO), hautenge Suits (Juri, Jack-O’), Mini-Röcke (Sakura, Alisa) und ähnliche Accessoires hervor, die vor allem Brüste, Po und Schritt hervorheben und teils kaum verdecken (Angel). Das tiefe Dekolleté, oder seine Variante: das boob window (Luong), ist Branchenstandard. [2] Damit ist nichts gegen körperbetonende Kleidung und ihr Tragen als solches gesagt, sondern dagegen, dass weiblich markierte Figuren von nach wie vor überwiegend männlichen Entwicklern vor allem in dieser Form, durch den male gaze, den männlichen Blick auf Frauenkörper, gezeigt und sexuell objektifiziert werden.
Im Kontext physischer Kämpfe erscheint es zudem, legt man nicht-fiktionale Maßstäbe an, wenig angebracht, Figuren so zu inszenieren. Sich mit exponierten Brüsten (Laura, Baiken) oder in High-Heels (Zafina, Ihora) angreifbarer zu machen, dürfte Siegesschancen eher nicht erhöhen. Durch ihr Design sind eigentlich spielstarke oder wegen ihrer Fähigkeiten interessant anzuschauende Charaktere wie Ihora für mich unspielbar.
Spielbare Fickbarkeit
Mitunter erwecken Fighting Games den Eindruck, als steuere man für heterosexuelle Männer geschaffene Sexpuppen. Die Idee der „Fuckability“, der Fickbarkeit aus Männersicht, scheint eine wesentliche Leitlinie bei der Entwicklung weiblich markierter Figuren zu sein.
In einem Text über Altersdiskriminierung von Frauen in Film und Fernsehen schreibt die Journalistin Silke Burmester, es gehe dabei immer um die Frage „Lecker genug fürs Bett?“. Nicht jede*r beantwortet die Frage, wer „lecker genug“ ist, gleich. Jedoch lassen sich bei der Fremdzuschreibung von Fuckability durch Männer in der Regel bestimmte Hauptkriterien beobachten, die um individuelle Vorlieben erweitert werden können: Als fuckable bewertete Frauenkörper haben heute vor allem eher sportlich-schlank und höchstens Anfang 30 zu sein. Modelmaße und von vielen als „groß“ gelesene Brüste erhöhen die Fuckability weiter.
Vieles davon findet sich auch bei der ikonischen Figur Mai Shiranui aus King of Fighters, deren Brust-Animation („breast bounce“) Videospiel-Geschichte schrieb. Zusammen mit der nicht minder ikonischen Chun-Li aus Street Fighter gehört sie zu den dienstältesten Kämpferinnen in Fighting Games. Von Anfang an ist das Design beider Figuren sexualisierend. So ist zum Beispiel schon 1991 Chun-Lis Slip zu sehen, etwa bei ihrer Spezialtechnik „Lightning Kick“. Heute verstärken perspektivische Inszenierungen mittels Kamerafahrten, wie bei Siegesposen, super special moves oder Story-Sequenzen teils üblich, die Sexualisierung zusätzlich. Ganz im Sinne des male gaze.
Fighting Games als Körpererzählungen
Aller gesellschaftlichen Debatten der zurückliegenden Jahre zum Trotz fand hier bisher kein wirkliches Umdenken statt. Sarkeesians Beobachtungen zum Figuren-Design, von denen manche schon knapp 10 Jahre alt sind, finden sich im Wesentlichen heute noch bestätigt, wie King of Fighters 15 als aktuelles und reichweitenstarkes Beispiel zeigt.
Neue grafische Möglichkeiten und mehr Speicherplatz haben vor allem dazu geführt, dass die Probleme des Genres noch sichtbarer geworden sind. Was früher pixelig war, ist heute hochauflösend. Im Vergleich positiv hervorzuhebendes Design, wie bei den Figuren Makoto, Nakoruru oder (mit Abstrichen) Lidia Sobieska, scheint nach wie vor eher die Ausnahme zu sein.
Bei Fighting Games ist das Problem sehr offenkundig, weil die Figurenkörper, ihre Kleidung und ihre Bewegungen visuell viel mehr im Mittelpunkt stehen als bei Spielfiguren der meisten anderen Genres. Was anderswo Levels sind, sind hier die gegnerischen Figuren mit ihren Körpern und mannigfaltigen Fähigkeiten. Fighting Games sind ausgesprochen körperzentriert: Die kämpfenden, teils bildschirmhohen Charaktere sind ständig von der Seite oder in 3D zu sehen, manchmal in Nahaufnahme oder Zeitlupe. In keinem anderen Genre dürften Körper variantenreicher steuerbar sein; über 100 Einträge haben die move lists mancher Charaktere in Tekken 7. In gewisser Weise sind Fighting Games Körperfeste und Fleischbeschau. Das Problem ist allerdings, welche Körper umfeiert, erzählt und gutgeheißen werden, und welche nicht erzählt, unsichtbar gemacht und so indirekt abgewertet werden.
Was Spielern zumutbar ist
Nicht als spielbar erzählt werden Frauenkörper, wie in den meisten anderen Genres auch, die als „alt“ oder „fett“ gelesen werden. Männerkörper hingegen, man ahnt es schon, werden in dieser Hinsicht bereits seit den 1990er Jahren divers erzählt und spielbar gemacht.
Als sei es selbstverständlich, gibt es neben Muskelschönlingen (Ryu, Yoshitora, Terry Bogard) unter anderem auch fette (E. Honda, Earthquake, Bob), alte (Tung Fu Rue, Gen, Heihachi) und solche Kämpfer, die im Sinne verbreiteter Schönheitsideale wegen anderer Körpereigenschaften als „häßlich“ gelesen werden können (Oro, Mukuro, Baraka).
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Diese archetypische Bandbreite sucht man bei Frauenfiguren vergeblich. Es gibt im gesamten Genre, soweit ich es überblicken kann, keine einzige als weiblich und erwachsen markierte Figur, die auch nur annähernd als fett deutbar wäre. Und es gibt nur eine, die äußerlich mit Merkmalen höheren oder hohen Alters ausgestattet ist: Oume Goketuji aus der wenig bekannten Reihe Power Instinct. Ihre Zwillingsfigur Otane Goketuji ähnelt ihr sehr und kann so kaum als weiterer Fall gelten.
Diese Leerstellen existieren auch in Spielreihen, die Abweichungen von dominanten Schönheitsvorstellungen und Fuckability eher zuließen, weil ihr visueller Stil anders ist, „niedlicher“ sagen viele, wie insbesondere Smash Bros. Aber auch das „harte“ Mortal Kombat, das durch seine düstere Horrorwelt Abweichungen mehr Raum böte, hat hier nichts vorzuweisen. Die als weiblich markierten Figuren mögen, wie D’Vorah oder Sindel, gruselig und blutrünstig erscheinen (auf eine sexualisierte Weise), alt oder fett aber sind sie nicht. Als wäre das des Horrors zu viel und männlichen Spielern unzumutbar. Und selbst ein Spiel wie Skullgirls, das fast nur Frauen- oder Mädchenfiguren aufweist und damit mehr Platz für diverse Körper- und Lebensaltererzählungen hätte, prägen diese Leerstellen.
In der Summe zeigt das, wie dominant von Fuckability bestimmte Schönheitsideen für Frauenfiguren in Fighting Games sind und wie sehr Entwickler*innen auch heute noch glauben, dass männliche Spieler als Hauptzielgruppe kein Interesse an anderen Körperlichkeiten hätten. Aber wie ist das zu wissen, wenn es noch nicht wirklich versucht wurde?
Gegen eine fette Frau verlieren
Bei der Frage, warum diese Leerstellen da sind, könnte sich auch die Inblicknahme gesellschaftlich-sexueller Machtstrukturen lohnen. Wenn Spieler mit Männerfiguren gegen (vielleicht auch von Frauen gespielte) Frauenfiguren verlieren, müssen diese dann wenigstens als fuckable gelesen werden können, um die Niederlage erträglicher und als akzeptables sexuelles Spiel deutbar zu machen? Ist es so unvorstellbar, dass Muskelpakete wie Guile gegen eine fette oder gar fette und alte Frau verlieren? Würde das gesellschaftliche Machtverhältnisse, auch sexueller Art, auf den Kopf stellen und sozial sanktioniert werden müssen?
Haben fette oder alte Frauen immer, vor allem gegen cis Männer, zu verlieren oder unsichtbar zu sein? [3] Wenn eine fette Spielerin Fighting Games interessant findet, vielleicht gerade deswegen, weil sie mit ihnen diskriminierende Schönheitsideale und Fat-Shaming spielhaft besiegen könnte, dann kann die Branche ihr nach wie vor kein sich ihrem Körper annäherndes Identifikationsangebot machen.
Hier klafft eine riesige Repräsentationslücke, die dem Ruf des Genres, wie dem von Videospielen allgemein, schadet und angesichts sich verändernder gesellschaftlicher Wertorientierungen und Sensibilisierungsprozesse wenig zukunftstauglich erscheint. [5]
Choose your fighter
Das ist, zugegeben, ganz schön viel guilty fürs pleasure. Viele Videospiele und insbesondere Fighting Games machen es Spieler*innen wie mir in der Tat nicht leicht, sie zu mögen. Bei Fighting Games muss ich nicht nur die dargestellte körperliche Gewalt für mich akzeptierbar machen, und daneben noch einige mitunter rassistisch anmutende Stereotype, sondern auch, welche Körper warum wie stattfinden und welche nicht. Das stellt meine Liebe für das Spielprinzip und meine Bereitschaft, dafür Geld auszugeben, manchmal sehr auf die Probe.
Der Titel dieses Textes ist das Meme „Choose your fighter“, das möglicherweise von den Menüs zur Spielfigurenwahl bei Fighting Games herrührt und häufig verwendet wird, wenn es darum geht, sich zwischen verschiedenen Optionen oder Akteur*innen zu entscheiden. Es passt hier in mehrerer Hinsicht.
Spieler*innen müssen wählen, für welche Fighting Games und für welche Charaktere darin sie sich entscheiden. Häufig spezialisieren sich Spieler*innen auf eine Figur, mit der sie dann eine oft jahrelange Spielbeziehung eingehen und mit der sie, wenn sie professionell Fighting Games spielen, bei E-Sport-Turnieren Geld verdienen. Wäre ich Profi-Spieler, könnte ich das nur mit einer Figur tun, die nicht, wie in obigen Beispielen beschrieben, sexuell objektifizierend gestaltet ist. [6]
Entwickler*innen von Fighting Games müssen Design-Optionen auswählen, müssen bestimmen, wie sie Körper erzählen, welche Körperformen, welches Körperalter und welche Kleidung sie den Figuren zuweisen. Sie müssen entscheiden, ob sie sexualisierende und Ausschlüsse produzierende Inszenierungen fortsetzen, oder ob sie bei der visuellen Erzählung von Frauenkörpern neue Wege beschreiten und endlich im sexismus- und männlichkeitskritischen Heute ankommen wollen. [7] Als Spieler will ich Frauenfiguren aus derselben Bandbreite an Körperformen und Lebensaltern auswählen können, wie sie mir auch bei Männerfiguren zur Verfügung steht.
Street Fighter 6 wird wohl der nächste große Titel im Genre sein, wie ein kürzlich veröffentlichter Teaser-Trailer vermuten lässt. 2023 soll es erscheinen (siehe auch das unten hinzugefügte Update zum Figuren-Leak von Anfang Juni 2022). Tekken 8 dürfte ebenfalls in Planung sein. Gerade die Fortsetzungen dieser Traditionsreihen werden zeigen, ob sich die Darstellung von Frauenkörpern in Fighting Games zum Besseren wendet, oder ob, wie es bei King of Fighters 15 bisher den Anschein macht, alles beim Alten bleibt. Ich jedenfalls hätte gern weniger guilty vorm pleasure. ◆
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) spielt, mit Unterbrechungen, seit den 90er-Jahren Fighting Games. Zu seinen Lieblingsreihen zählen King of Fighters und Samurai Shodown.
Update: Figuren-Leak zu Street Fighter 6
Anfang Juni 2022 wurde das mutmaßliche Figuren-Ensemble von Street Fighter 6 geleakt. Die Darstellungen gelten bisher als authentisch. Im Kontext der oben diskutierten Fragen fällt auf, auch im Vergleich zum Konkurrenten King of Fighters 15, dass das Design weiblich lesbarer Figuren weniger sexualisierend ausfallen könnte, als es bisher in der Reihe üblich ist. Sofern das Leak die neuen Standard-Kostüme der Figuren zeigt, scheint es bei Frauenfiguren einen Trend hin zu mehr-Kleidung-weniger-Haut zu geben.
Besonders bei der Figur Cammy wird das deutlich. Statt eines sehr knappen Leotards ist sie nun mit Jäckchen und 3/4-Hose zu sehen. Ihr Kostüm ist zwar nach wie vor sehr körperbetonend, zudem ist jetzt ihr Bauch sichtbar, als Ganzes aber wirkt sie weniger nackt. Ähnliches gilt für Chun-Li, auch sie wirkt zugeknöpfter. Hinzu kommt, dass ihre Brüste nun zurückgenommener erscheinen als noch in Street Fighter V. Ein kürzlich veröffentlichter Gameplay-Trailer, in dem sie als einzige weiblich markierte Figur zu sehen ist, verfestigt diese Eindrücke.
Marisa, die Gladiatorin
Die im Rahmen dieses Textes interessanteste Figur, weil sie am stärksten von in der Reihe bisher etablierten Weiblichkeitsbildern abweicht, ist der Neuzugang Marisa. Sie wird bisher weiblich gelesen, nicht nur wegen ihres Namens, sondern wohl auch wegen ihres Sport-Bustiers. Marisa erscheint als muskelbepackte Hünin, eine Art Kickboxerin oder MMA-Kämpferin. Ihre kurze Sport-Hose (oder: Rock) und ihre helmhafte Frisur erinneren an das antike Rom; laut Leak stammt sie aus Italien. Zusammengenommen lässt sich das so deuten, als könnte Marisa eine Art Gladiatorin darstellen.
Ihre im Vergleich zu den Gepflogenheiten der Reihe, und des Genres insgesamt, sehr androgyn wirkende Gestalt und Kostümierung überraschen jedenfalls. Und sie lassen hoffen, dass das Genre-Flaggschiff Street Fighter 6 auch bei der Inszenierung anderer, später zusätzlich herunterladbarer Frauenfiguren neue Wege beschreiten könnte.
Allerdings: Als „alt“ oder „fett“ lesbare Frauenkörper finden sich auch im geleakten Ensemble nicht. Denkt das für Street Fighter 6 verantwortliche Unternehmen Capcom, dass männlichen Spielern als Kernzielgruppe von Fighting Games alte und fette Kämpferinnen nach wie vor nicht zuzumuten sind? Natürlich, wie jedem Leak ist auch diesem mit Vorsicht zu begegnen. Vielleicht ist es nur eine sehr gut gemachte Fälschung. Vielleicht sind die enthüllten Designs bloß Entwürfe oder zeigen nicht die letztendlichen Hauptkostüme, mit denen das Spiel im Laufe des Jahres 2023 an den Start gehen soll. Die Aussagekraft der Darstellungen mindert auch, dass es keine Bewegtbilder sind.
Jedoch erscheint es vertretbar, angesichts des Problemdrucks, der auf der Darstellung von (spielbaren) Frauenkörpern in Videospielen und insbesondere Fighting Games lastet, Vermutungen über die Implikationen eines solchen Leaks anzustellen. Mit aller gebotenen Vorsicht.
Anmerkungen
[1] Die Zuschreibung „fett“ ist hier nicht abwertend, sondern im Sinne eines wertneutralen Begriffs für Mehrgewichtigkeit gemeint. Gesellschaftlich mag eine solche Verwendung noch unüblich sein, unter fetten Menschen gewinnt sie an Akzeptanz.
[2] Alternativkostüme sind hier viel zu selten eine wirkliche Alternative, weil sie die Sexualisierung oft in ähnlicher Weise fortführen oder Klamauk sind. Und selbst, wenn sie einmal wirkliche Alternativen bieten: Durch das Standard-Kostüm legen Entwickler*innen fest, wie eine Figur vor allem zu sehen sein und sich im Gedächtnis von Spieler*innen einnisten soll. Sogenannte Mods, durch programmierkundige Spieler*innen geschaffene Modifikationen, sind zu vernachlässigen, weil diese Kostüme nicht offiziell sind und meist keine figurenprägende Rolle spielen.
[3] Es gibt Figuren, deren geschlechtliche Identität nicht eindeutig markiert ist, wie zum Beispiel Leo Kliesen in Tekken. Das mag auch mit dem großen Einfluss japanischer Animes auf Fighting Games zu tun haben. Nicht-binär angelegte Charaktere sind in Animes (und Mangas) häufig anzutreffen.
[4] Besonders interessant hinsichtlich gesellschaftlich-geschlechtlicher Machtfragen ist auch die Figur Kum Haehyun aus Guilty Gear. Zu sehen ist ein alter, großer und muskelbepackter Männerkörper mit langem weißen Bart. Der Körper ist aber nur eine Hülle, ein Roboter: Von innen heraus steuert ihn eine junge Frau. Das kann so gelesen werden, als müsse sich eine Frau der Fähigkeiten eines alten Mannes bedienen, als müsse sie vermeintlich „männlich“ sein, um bestehen zu können. Es wäre hier ein großer Fortschritt im Geschlechterrollenverständnis, wenn ein junger Mann sich auf diese Weise der Fähigkeiten einer alten Frau bedienen könnte. Und sei sie auch nur ein Roboter.
[5] Diese Repräsentationslücke ist aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen wenig nachvollziehbar. Für ein Entwicklungsstudio wäre es hier einfach, sich inhaltlich und visuell von der Konkurrenz abzusetzen: Wenn alle seit Jahrzehnten dieselben problematischen Körperbilder nutzen, sorge ich für Aufmerksamkeit, wenn ich mit dieser Bildtradition breche. So simpel kann Innovation sein: einfach diversere Frauenkörper spielbar machen.
[6] Sony hat 2021 die Rechte an der EVO gekauft, dem größten E-Sport-Turnier für Fighting Games. Das Genre eignet sich durch seine visuelle Nähe zum Boxkampf und ähnlich publikumswirksamen Kampfsportarten sehr für E-Sport. Es ist damit zu rechnen, dass Sony mittels der EVO Fighting Games zu mehr Sichtbarkeit verhelfen wird. Allerdings wäre es bedauerlich, wenn das auch mehr Sichtbarkeit für die hier beschriebenen Probleme und Sexualisierungsmuster bedeutete.
[7] Ein Grund für die Widerständigkeit der aufgezeigten Frauendarstellungen könnte sein, dass die meisten Fighting Games, vor allem die großen Reihen, von japanischen Entwicklungsstudios und Publishern stammen, wie Capcom, SNK oder Arc System Works. In Japan könnten feministische Diskurse anders gelagert sein und in den hier diskutierten Fragen (noch) nicht die Wucht wie in Europa oder den USA haben. Zudem dürften auch japanische Studios, wie meist überall, strukturell männlich dominiert und damit weniger aufgeschlossen für Design-Ideen sein, die sich vom male gaze und Fuckability-Dogma lösen. Mehr nicht-cismännliche Führungskräfte und Entwickler*innen brächten hier vielleicht variantenreichere Frauendarstellungen mit sich.
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