Der Berg ruft und groovt: Loisach Marci und sein Alphorn-Techno in Stuttgart
Der Bayern-Botschafter Marcel Engler alias „Loisach Marci“ spielte im Stuttgarter Kulturzentrum Merlin einen Techno-Live-Act. Mit Instrumenten alpiner Volksmusik. Sein Sound macht Spaß.
Passiert mir heute auch eher selten: zufällig von einem Club-Konzert erfahren, das am selben Tag abends stattfindet, und einfach hingehen. Spontan. Bei Regenwetter. Welche Hürden! Ich bereue allerdings nichts und bin dem Zufall dankbar, dass ich gestern Nachmittag in den Instagram-Stories des Stuttgarter Kulturzentrums Merlin vom Loisach-Marci-Konzert erfuhr. Dort sah ich das Foto eines in Tracht gekleideten Menschen, der mit geschultertem Alphorn durch bergige Landschaft fährt – auf einem Skateboard. Woanders las ich „Alphorn-Techno“ und hörte in Musik rein. Alles sehr interessant und besuchenswert, dachten sich wohl meine der Spontanität zugeneigten Persönlichkeitsanteile und schmiedeten Pläne für den Abend.
Der Berg groovt
Auf dem Weg zum Konzert schwang allerdings, bei aller Neugier und Ausgehlust, etwas Skepsis mit: Als Kind der 1990er-Jahre muss ich bei „Alphorn-Techno“ gleich an das Stück Der Berg ruft der Gruppe K2 aus dem Jahr 1994 denken. Solche Eurodance-Musik ist für manche heute trashiger Kult, bei anderen hingegen ist sie als Kirmes-Techno verschrien. Auch wenn ich mittlerweile finde, dass sie einen gewissen Charme ausstrahlt, stellte ich gestern schon nach den ersten Beats erleichtert fest, dass sie wenig mit dem zu tun hat, was Marcel Engler alias „Loisach Marci“ macht.
„Mit der musikalischen Tradition was Geiles machen, sie aber nicht verhunzen.“, steht auf der Website des offiziellen Bayern-Botschafters. Das gelingt ihm mit Blick auf Traditionen elektronischer Musik auf jeden Fall. Gestern waren das vor allem Traditionen des, wenn man Schubladen aufmachen möchte, Techno und Trance sowie Trip-Hop und Ambient, mit einem Schuss Rave-Albernheit. Zu dieser facettenreichen Mischung passt ganz gut, dass Englers Sound stellenweise an klassischen Goa-Trance erinnern mag, der auch ein Schmelztiegel verschiedener Strömungen elektronischer Musik war.
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Dieser Eindruck dürfte maßgeblich mit dem Alphorn zusammenhängen, das direkt vor ihm auf der Bühne stand, neben Synthesizern und Drumcomputern. Das Alphorn nahm bei einigen Stücken, wie die Mundharmonika, eine dominante Rolle ein und erinnerte klanglich mitunter an ein Didgeridoo australischer Aboriginies. Hierdurch wurde die Urwüchsigkeit, die das Instrument Alphorn optisch und akustisch ohnehin hat, noch verstärkt. Das passt gut zu den gewollt monotonen Mustern der Techno- und Trance-Musik und falls Marcel Engler noch nicht mit Didgeridoo-Spieler*innen zusammengearbeitet hat, könnte das eine Überlegung wert sein.
Der Trance-Zustand wurde allerdings regelmäßig gebrochen, durch Ruhephasen mit Alpenromantik oder Ausrufe Englers im bayerischen Dialekt und eingespielten Vocal-Samples ähnlicher Art. Das hatte etwas von „O’zapft is!“ und ließ mich schmunzeln. Allerdings: Auch wenn es atmosphärisch sehr gut zum Auftritt passte, sollten diese Elemente vielleicht gleichermaßen dafür sorgen, zumindest an diesem Abend im Merlin, dass es nicht überhandnimmt mit dem Techno-Trip. Dass es nicht zu wild wird. Die Musik hätte das nämlich hergegeben. Botschafter Bayerns zu sein und stundenlange Techno-Ekstase vertragen sich womöglich nicht so gut. Bei einigen Tanzenden hatte ich jedenfalls das Gefühl, sie wären gern noch viel länger zur Musik von Loisach Marci abgegangen.
Ekstase und Bayern
Ab ging in seiner Tracht auch Marcel Engler auf der Bühne, was sehr zur guten Stimmung beitrug. Er hängt sich rein in seine Instrumente, in die traditionellen wie die elektronischen, tanzt zu seiner Musik und ist das Gegenteil von Techno-Musiker*innen (und DJs), die still und kühl ihre Geräte bedienen. Wer Techno und ähnliches auch nur ein bisschen mag, schaut sich Loisach Marci live an. Unbedingt auch spontan. ◆
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) hört seit seiner Jugend Musik, die oft als „elektronische Tanzmusik“ bezeichnet wird. Mittlerweile fühlt er sich in einigen Ecken des House-Universums am wohlsten, schaut aber gern auch über dessen Ränder.
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