Krieg der Wörter
Alexander, Leopard, Vampir – der Krieg in der Ukraine wirft Licht auf Wörter, die für Tod und Verderben stehen: Waffennamen. Was haben sie mit Männlichkeit und feministischer Rüstungspolitik zu tun?
Aktualisiert: 30. Januar 2023 (Hinweis auf Debatte zur Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine; Ergänzung weiterer Beispielnamen; Austausch des Titelbilds; Hinzufügen der Hörfassung)
Text anhören (vom Autor vorgelesen):
Auf Twitter kann ich dieser Tage nur schwer vom Doomscrolling lassen. Ich lande dann auch bei Beiträgen von Kriegsbeobachter*innen wie Rob Lee, der sich aus militärischer Sicht mit dem in der Ukraine eingesetzten Kriegsgerät beschäftigt und Bildmaterial von Kämpfen auswertet. Das liest sich wie ein Einsatz- und Verlustprotokoll und wirkt mit all den Bildern von zerschossenen Panzern, Hubschraubern und anderem Gerät teils kriegspornografisch. Um Kriege verstehen und verhindern zu können, dürfte solch buchhälterische Akribie wichtig sein. Eine andere Frage ist aber, ob das öffentlich (und oft unkritisch) bei Twitter erfolgen und so zum voyeuristischen Spektakel werden muss.
In den Tweets solcher Accounts finden sich auch Typenbezeichnungen der vermutlich zu sehenden Waffen, wozu oft ein Eigenname gehört. Beispiele hierfür sind Piorun (auf Deutsch: Blitz), Igla (Nadel), Buk (Buche), Skrezhet (Kreischen) oder Iskander (Alexander; nach Alexander „der Große“). Zu den namentlich bisher bekanntesten Waffen des Ukraine-Kriegs dürfte die Drohne Bayraktar (Fahnenträger) gehören, der aufgrund ihres Erfolgs bei der Zerstörung russischer Einheiten ein Lied gewidmet wurde. Besondere Aufmerksamkeit erfährt zudem Javelin (Wurfspeer), eine „tragbare Fire-and-Forget-Panzerabwehrlenkwaffe“, wie es auf Wikipedia heißt. Nach ihr wurde eine „Heilige“ benannt. Berüchtigt ist auch der – laut einem Bundeswehr-Hauptmann – als „Putins Höllensonne“ oder „Putins Pinocchio“ bekannte Raketenwerfer TOS-1. Und Anfang 2023 hieß es, die USA wollen der Ukraine Raketen des Typs VAMPIRE liefern.
Maus und Zeus
Wenn ich Namen wie diese heute sehe, muss ich an meine Bundeswehrzeit Anfang der 2000er-Jahre denken. Bei der Bundeswehr hatten und haben Panzer, Waffensysteme oder Fahrzeuge häufig Tiernamen: Ich saß im Iltis und im Wolf, sah das Flugabwehrraketensystem HAWK (Falke), kenne seit meiner Kindheit durch die damals populären Panzerquartett-Kartenspiele den Leopard 2, den Gepard oder den Keiler (männliches Wildschwein) und las neulich vom Flugabwehrsystem MANTIS (Gottesanbeterin) und dem Artillerieortungsradar COBRA. Das mag wie ein halber Zoo oder Wald wirken, der sich schwerbewaffnet in den Kampf stürzt; als würde man, fast schon okkultistisch, die Kräfte beschwören wollen, die diesen Tieren zugeschrieben werden.
Die Bundeswehr hat damit in Teilen eine Benennungspraxis der Wehrmacht fortgeführt, die auf der Forderung des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels nach „suggestiv wirkenden Namen“ fußte und im Zweiten Weltkrieg zu Panzerbezeichnungen wie Maus oder Tiger führte.
Aus meiner Zeit als Soldat kenne ich zudem noch PATRIOT und NIKE als Namen von Flugabwehrraketensystemen. NIKE ist nach der Siegesgöttin aus der griechischen Mythologie benannt, die begrifflich auch die Varianten der – bei Bedarf mit Atomsprengköpfen ausrüstbaren – Rakete inspirierte: AJAX, HERCULES und ZEUS. Wenn schon Atomkrieg und Weltuntergang, dann bitte klassisch gebildet und unter Anrufung von Gottheiten?
Als Fat Man vom Himmel fiel
Die Frage, wie Menschen etwas bezeichnen und warum sie sich für bestimmte Namen entscheiden, finde ich sehr interessant. Warum heißen Dinge oder Ideen so, wie sie heißen? Was soll vermittelt, welche Werte sollen transportiert werden? Wer wird als Adressat*in gedacht? Wer ist an der Namensfindung beteiligt? Wer entscheidet in letzter Instanz, wie etwas heißt? Entscheidet überhaupt jemand oder kommt es im Laufe kollektiver Nutzung und Verbreitung zu umgangssprachlicher Begriffssetzung? Welche Rolle spielt der Zeitgeist?
Bei Kriegsgerät und Waffen wiegen solche Fragen umso schwerer, weil es letzten Endes um die Zerstörung von Material, die Verwüstung von Raum und die Vernichtung von Leben geht. Wie nenne ich etwas, dessen Einsatz zum (massenhaften) Tod von Menschen, zu schwersten Verletzungen, zu zerbombten Wohnungen, Schulen, Straßen, Städten und, wie jetzt in der Ukraine wieder, zu Millionen von Geflüchteten führt?
Wie nenne ich etwas, das menschliche Körper durchlöchert, verbrennt, verstümmelt und in Fetzen reißt? Das für lebenslanges Leid und Trauma sorgt? Das aus Geburtskliniken Ruinen macht, wie in Mariupol? Das Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglicht und, im Fall eines Atomkriegs, das Ende der Menschheit bedeuten könnte?
Sind solche Fragen für Entscheider*innen im militärisch-industriellen Komplex überhaupt relevant oder geht es vor allem darum, Namen zu finden, die sich auf Waffenmessen und gegenüber Ministerien gut verkaufen lassen, die vielleicht auch für Social Media und popkulturelle Referenzen taugen? Namen, auf die vor allem männliche Käufer und Anwender anspringen, weil Rüstung und Kriegsführung im Wesentlichen nach wie vor Männerbranchen sind, zumal solche, die stark maskulinistisch aufgeladen sein dürften?
Braucht es Namen, die sich Soldat*innen leicht merken und einfach aussprechen können, wenn sie Waffen einsetzen und sich untereinander darüber verständigen? Die ihnen ein gutes, irgendwie heroisches Gefühl beim Abschuss oder Abwurf geben? Namen, die plakativ oder infantil sind, Ausdruck eines männerigen Höhö-Humors, wie bei der Rakete Hellfire (Höllenfeuer) oder den Bomben Fat Man (Fetter Mann) und Little Boy (Kleiner Junge), die als Deck- und Spitznamen der 1945 auf Nagasaki und Hiroshima abgeworfenen Atombomben dienten? Namen, die aus ähnlichen Gründen auch Zivilist*innen gut vermittelbar sind und von diesen leicht aufgegriffen werden können, wie etwa in der Forderung deutscher Politiker*innen, endlich „die Leoparden freizulassen“, also Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern?
Wie himmelschreiend absurd und maskulinistisch lächerlich ist es, dass einige der absolutesten Dinge, die es im Leben von Menschen gibt, nämlich Schmerz, Trauer und Tod, von etwas herbeigeführt werden, das „Fat Man“ oder VAMPIRE genannt wird?
Es verwundert angesichts obiger Benennungspraktiken fast schon, dass es bisher keine Waffe gegeben zu haben scheint, die PHALLUS heißt. Wikipedia weiß allerdings von einer Keule namens Cali, die auf den Fidschi-Inseln üblich war und deren Schaftende der Spitze eines Phallus nachempfunden ist.
Wie würden Frauen Waffen nennen?
Der Ukraine-Krieg fällt in eine Diskursumwelt, die in den letzten Jahren stark durch einen modernen, intersektional und kooperativ gedachten Feminismus geprägt wurde. Dieser Feminismus findet sich auch in Ideen einer neuen – oder zumindest: anderen – Art von Außenpolitik. Eine solche hat die Autorin und Institutsgründerin Kristina Lunz kürzlich in einem Interview mit der Journalistin Teresa Bücker beschrieben. Sie sagt darin zum Beispiel:
„Feministische Außenpolitik gründet auf Menschenrechten und wird von der Zivilgesellschaft mitformuliert. Sie ist transparent, anti-militaristisch und auf Kooperation statt Herrschaft über andere ausgerichtet. Feministische Außenpolitik möchte patriarchale Strukturen auch innerhalb von Außen- und Sicherheitspolitik zerschlagen.“
Und weiter:
„Aufrüstung und die Anwendung von Waffen gelten im gesellschaftlichen Diskurs oft als rational, stark und mächtig – und werden insbesondere mit Männlichkeit gleichgesetzt.“
Ich frage mich, wie ihm Rahmen einer feministischen Außenpolitik eine feministisch motivierte Rüstungspolitik aussähe. Gäbe es sie im herkömmlichen Sinne dann überhaupt noch oder wäre feministische Rüstungspolitik in erster Linie Abrüstungspolitik? Ein Abbau dessen, was Männer und dominante Bilder von Männlichkeit seit Jahrhunderten zu verantworten haben?
Und was hieße eine feministische Rüstungspolitik für Waffennamen, wenn man zunächst davon ausgeht, dass es ganz ohne (Kriegs-)Waffen nicht gehen dürfte? Hießen sie dann völlig anders, gäbe es andere Muster in ihren Bezeichnungen? Würden staatliche Organisationen nichts mehr einkaufen wollen, das „Zeus“, „Tiger“ oder „Höllenfeuer“ heißt? Bekämen Waffen und anderes Kriegsgerät dann Namen, die vor der Nutzung warnen und Anwender*innen abschrecken sollen?
Diese Überlegungen mögen naiv und utopisch wirken. Angesichts all des apokalyptischen Leids, das Kriege, die sie tragenden Waffen und deren Namen heraufbeschworen haben, könnten sie sich aber lohnen.
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) hat schon während seiner Bundeswehrzeit festgestellt, dass die Welt des Militärs auch in sprachlicher Hinsicht manchen Horror bereithält.
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