„Schinder ist eine Dating-App für Leute mit Unternehmergeist, mit Entrepreneurial Spirit, wie auch wir ihn haben.“ „Wir“, das sind die Stuttgarter Ben Brüderle und Tim Windig. Beide sind mit Herzblut in der FDP und haben ihr unternehmerisches Glück im Crypto-Coaching gesucht, bevor sie in die Online-Dating-Branche flohen. „Auf der Dating-App Bumble fiel uns auf, dass in nicht wenigen Profiltexten Sätze wie ‚Du solltest Unternehmer sein.‘ stehen, als Anforderung an mögliche Partner.“, sagt Brüderle. Windig meint: „Viele Nutzer dort haben ein Entrepreneurial Mindset. Vielleicht braucht man das auf dem harten Dating-Markt einfach.“
Auch in Stuttgart und seinem Umland kennt man solch ein Mindset: Wo stünde die Region ohne Sprüche wie „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ und „Ned gschimpft isch gnug globt“? Sie haben Generationen geprägt – und zig Schwäb*innen seelisch ruiniert. Dass Schinder in Stuttgart sitzt, mag da wenig überraschen.
Raubbau an sich und anderen
Windig und Brüderle wollen den negativ konnotierten Begriff „Schinder“ rehabilitieren, ihn „reclaimen“, wie sie sagen. Der Kapitalist Brüderle sagt ohne Umschweife: „Um voranzukommen, muss man schinden. Auch sich selbst.“ In der Tat zeigt ein Blick in die App und ihre Menü-Optionen schnell, dass Schinder sich an Chef*innen richtet, die eine ausbeuterische Arbeitskultur pflegen und Raubbau nicht nur an anderen, sondern auch an sich selbst betreiben.
Damit richtet sich Schinder an ziemlich viele. Der Markt ist groß, wie Windig bestätigt: „Der Ansturm auf unsere Beta-Test-Phase ist enorm, wir haben sie alle: Vorstandschefs, Abteilungsleiter, Professoren, Schuldirektoren, Chefredakteure, Parteifunktionäre, Handwerksmeister und Führungskräfte aus dem Non-Profit-Sektor. Alle wollen schindern.“ Beim Gedanken, dass solche Leute romantisch-sexuell zusammenfinden und vielleicht sogar Kinder zeugen, gehe ihm das Herz auf, sagt Windig.
Womöglich hat der Spuk aber bald ein Ende: Der Dating-Gigant Tinder hat angekündigt, gerichtlich gegen Schinder vorzugehen. Durch die begriffliche Nähe und das ähnlich gestaltete Logo sieht Tinder seinen Ruf durch Schinder geschädigt. Wenn selbst Tinder seinen eh schon miserablen Ruf geschädigt sieht, weißt du, dass deine Höllen-App besser sterben sollte. ◆
Dieser Text ist Satire und weitgehend fiktional. Ähnlichkeiten zu lebenden Personen wären rein zufällig. Er wurde zuerst in der KESSELPOST veröffentlicht, dem Instagram-Magazin für Stuttgarter Fiktivitäten.
Tags: Satire // Dating // Stuttgart
Zum Autor
Oliver Pöttgen (er/ihm) war vielleicht ein bisschen süchtig nach Dating-Apps und hat über sie liebe Menschen kennengelernt, die er in seinem Leben nicht missen möchte.
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