Schärfer als ein Laserschwert: „Andor“ und die Macht der Worte
Die zweite Staffel der Star-Wars-Serie „Andor“ lässt an die sich faschistisierenden USA unter Donald Trump denken. Das hat auch mit Worten der Figuren zu tun. Von Tim Lorenz.
Worte! Tony Gilroys Andor ist, trotz des Action-und-Abenteuer-Genres, vor allem eine Serie der Worte. Damit meine ich nicht nur das brillante Drehbuch, sondern konkret auch das, was die Figuren sagen. Das sorgt in Andor immer wieder für Entscheidungen – nicht Kämpfe, nicht körperliche Aktion. Worte, die schärfer, gefährlicher sind als jeder Laserschwert-Hieb.
Daneben ist Andor eine Serie über Aktion und Reaktion, über Unterdrückung und Rebellion, eine Geschichte darüber, wie ersteres wirkt und zu letzterem führt. Wie aus gewöhnlichen Personen, die eigentlich nur das vermeintlich Richtige wollen, Faschisten werden. Und wie andere gewöhnliche Personen (der Begriff „Menschen“ wäre in der diversen Star-Wars-Welt zu kurz gefasst) nicht anders können, als etwas dagegen zu unternehmen. Das macht Andor auch zu einer Erzählung über unser Heute.
Auf einen Blick und Klick: Andor politisiert die Star-Wars-Welt // Rebellionen sind auf Leichen gebaut // Wie auf der Wannseekonferenz // „I share my dreams with ghosts“ // Das Imperium und das Trump-Regime
Star Wars also – in diesem Erzähluniversum von geradezu religiöser Größe befinden wir uns. Aber ich gehe davon aus, dass alle, die dieser Text interessiert, das wissen. Und auch, dass jede Leser*in sich zumindest grundlegend auskennt mit dieser fernen, fiktionalen Welt und ihrer Geschichte. Wer die beiden Staffeln von Andor noch nicht kennt, jüngst erschien ja die zweite, sei gewarnt: Spoiler ahoi!
Veränderte Welt
Schon der erste Star-Wars-Film von 1977, mittlerweile mit A New Hope untertitelt, beginnt mit gewichtigen Worten, dem stilbildenden Intro-Scroll (im englischen Original hier): „Es herrscht Bürgerkrieg. Die Rebellen, deren Raumschiffe von einem geheimen Stützpunkt aus angreifen, haben ihren ersten Sieg gegen das böse galaktische Imperium errungen.“
Ich erinnere mich noch, wie ich, achtjährig im Kino sitzend, diese Worte las. Mehr noch aber erinnere ich mich, wie ich danach, bildtrunken, aus dem Kino stolperte und meine Welt komplett verändert war. Eine Erinnerung, die wie ein scharf gestochenes Foto in meinem Kopf wohnt. Und so ging es mir wohl nicht allein, denn kaum eine andere Filmreihe hat seither eine solch religiös-kultische Gefolgschaft geschaffen wie das Star-Wars-Universum des ursprünglichen Experimental-Filmers George Lucas. Es besteht mittlerweile aus elf Filmen, zahlreichen Serien, realen wie animierten, sowie Romanen, Comics und Videospielen.
Politisches blieb schemenhaft
Und trotz dieser Vielfalt blieben das „böse“ galaktische Imperium wie auch die „gute“ Rebellen-Allianz in ihren politischen Implikationen immer eher schemenhaft – obwohl Lucas schon früh in Interviews seine Vorbilder für beide Seiten preisgab: die USA und der Vietcong. Das ändert Andor nun und politisiert in gewisser Weise die Star-Wars-Welt. Showrunner Tony Gilroy zeigt anhand zweier entgegengesetzter Charaktertrios, wie der alltägliche Faschismus Personen in seinen Zwang bringt. Und er zeigt die verschiedenen Arten, wie jene sich dagegen zu wehren beginnen.
Auf der Seite des faschistischen Imperiums stehen dabei Syril Karn als der Untertan, Dedra Meero als Überzeugungstäterin und Orson Krennic als, wenn man so will, Reinhard Heydrich. Auf der Rebellen-Seite stehen Cassian Andor als Vertreter des Lumpenproletariats, Mon Mothma als so bourgeoise wie realpolitische Unterstützerin und Luthen Rael als akzelerationistisches Gewinde dazwischen.
An diesen zwei Fraktionen exerziert Gilroy die beidseitige Radikalisierung durch. Cassian, der vom Halbkriminellen, dem es hauptsächlich um sich und seine Nächsten geht (etwa um seine alte Mutter und seinen Droiden B2-EMO, der gewiss einer der herzerwärmensten Blechkameraden der Filmgeschichte ist), zum opferbereiten Rebellenkommandanten wird.
Oder Mon, der reichen Senatorin des Planeten Chandrila, die zwar das Herz am rechten Fleck hat, aber lieber nicht so genau wissen möchte, wozu die Gelder, die sie für die Rebellion abzwackt, verwendet werden. „How nice for you“, spottet der gewiefte Luthen mit subtilen, aber doch scharfen Worten. Und Syril, der sprichwörtliche „kleine Mann“, der einfach mal anerkannt und von seiner Mutter gelobt werden möchte, ist ein gefundenes Fressen für faschistische Systeme, die Leute wie ihn in ihren unerbittlichen Mühlen gern als Mittel zum Zweck zermahlen.
Ein Berg an Leichen
Dass diese unerbittliche Mühle dann ausgerechnet sein streng frisierter Schwarm Dedra ist, ist nur eine der zahlreichen brillanten Spitzen des Drehbuchs. Eine andere ist Syrils sich über zwanzig Folgen immer mehr steigernde Fixierung auf die Jagd nach Cassian Andor, die dann beim ersten und einzigen Zusammentreffen platzt wie ein von einer Nadel zerstochener Luftballon: „Who are you?“ Worte, die treffen.
Manchmal nutzt Gilroy auch reale historische Ereignisse, um Parallelen zu zeichnen. In der ersten Staffel ist das etwa der Aldhani-Überfall, bei dem die Rebellen einen Batzen Credits erbeuten, eine Währung in der Star-Wars-Welt. Wohl nicht von ungefähr erinnert das an Josef Stalins legendären Überfall auf die Bank von Tiflis im Jahr 1907, als die Bolschewisten auf spektakuläre Weise einen Batzen Geld erbeuteten. Und einen Haufen Leichen zurückließen. Etwas, was auch Andor in keiner Weise beschönigt: Rebellionen sind gebaut auf Hoffnung, der Unterbau ist aber oft ein Berg an Leichen. Keiner weiß das besser als der Strippenzieher Luthen Rael.
Wannseekonferenz und Résistance
In der zweiten Staffel ist es dann eine Konferenz mit Frühstück, zu der Orson Krennic in seine Bergvilla – halb Wewelsburg, halb Kehlsteinhaus – lädt, um im gediegenen Ambiente die nicht existente Zukunft des Planeten Ghorman und seiner Bewohner*innen zu besprechen – der Wannsee scheint nicht weit entfernt zu liegen.
Die auf Ghorman lebenden modeaffinen Ghor wiederum, mit ihren Jugendstil-Cafés und ihrer bizarren Sprache, die wie eine Melange aus Französisch, Polnisch und Portugiesisch klingt, lassen an die französische Résistance im Zweiten Weltkrieg denken. Überhaupt wirkt Andor oft wie die Steampunk-Version eines Zweiter-Weltkrieg-Agententhrillers. Und auch der Zweite Weltkrieg war, vielleicht noch viel mehr als andere Kriege, ein Krieg der Worte – von Adolf Hitlers Hasstiraden bis zu Winston Churchills Durchhalteparolen („We shall never surrender“).
„I share my dreams with ghosts“
Kein Krieg ohne Worte. In einer frühen Folge der ersten Staffel lernen wir Karis Nemek kennen, ein Mitglied des Aldhani-Überfall-Teams. Karis schreibt an einem Traktat, das später so etwas wie das Kommunistische Manifest der Rebellion werden wird – „The Trail of Political Consciousness“. Darin steht:
„Remember this: The Imperial need for control is so desperate because it is so unnatural. Tyranny requires constant effort. It breaks, it leaks. Authority is brittle. Oppression is the mask of fear.“
Dann sind da Luthen Raels wuchtige, lange im Gedächtnis nachhallende Worte an seinen Informanten Loni:
„What do I sacrifice? Calm. Kindness. Kinship. Love. I’ve given up all chance at inner peace. I’ve made my mind a sunless space. I share my dreams with ghosts. […] I’m condemned to use the tools of my enemy to defeat them. I burn my decency for someone else’s future. I burn my life to make a sunrise that I know I’ll never see. […] So what do I sacrifice? Everything.“
Und was tun die Ghor, kurz bevor sie, auf dem Marktplatz ihrer Hauptstadt zusammenstehend, von imperialen Sturmtruppen und Kampfdroiden massakriert werden? Sie singen! Worte, gekleidet in Musik. Die Marseillaise-Szene im Filmklassiker Casablanca lässt grüßen. Und damit, einmal mehr, der Zweite Weltkrieg.
„The death of truth“
Um unser Heute geht es in Andor aber auch. Parallelen zum Trump-Regime sind deutlich sichtbar. Die zweite Staffel lasse ans momentane „Schlingern“ der USA in den Faschismus denken, schreibt der Kritiker Jake Kleinman auf WIRED und vergleicht das Wüten der US-Einwanderungsbehörde ICE mit dem imperialer Truppen in Andor. Viel Gegenwart steckt auch in Mon Mothmas Rede gegen den Imperator im Senat von Coruscant; sie ist geradezu hochaktuell:
„I believe we are in crisis. The distance between what is said and what is known to be true has become an abyss. Of all the things at risk, the loss of an objective reality is perhaps the most dangerous. The death of truth is the ultimate victory of evil.“
Bei „death of truth“ denkt man, zum Beispiel, gleich an Donald Trump, seine Schergen und die AfD. Mitunter wirkt es, als redeten die Figuren in Andor, gerade die rebellischen, direkt zu uns Zuschauer*innen. Auf eindringliche Weise. Dass das ausgerechnet eine Serie aus der Star-Wars-Welt schafft, der manche eine gewisse Seichtigkeit zuschreiben, ist bemerkenswert. „I have friends everywhere“, sagen Rebell*innen in Andor als Erkennungscode. Das mag auch für unser von rechts bedrohtes Heute Mut machen.
In einer der letzten Szenen der Serie lauscht ein imperialer Major einer Übertragung von Karis Nemeks Manifest. „Just keeps spreading, doesn't it?“, fragt er einen Untergebenen. „It's been hard to contain“, antwortet der. Das ist die Macht von Worten. Und davon erzählt Andor. ◆
Andor. Regie: Toby Haynes, Susanna White, Janus Metz u. a.; Besetzung: Diego Luna, Denise Gough, Stellan Skarsgård u. a.; zu sehen sind die bisherigen zwei Staffeln (2022-2025) auf Disney+.
Tags: Film und Serie
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Zum Autor
Tim Lorenz (er/ihm) ist seit fast 30 Jahren DJ im Golden Pudel Club/Hamburg, spielt seit fast 20 Jahren in der Band von Andreas Dorau und hat schon für Magazine wie De-Bug, Groove, Rolling Stone und Musikexpress geschrieben.
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